Stell dir vor, du hast im Rahmen der #Metoo-Dossiers einen persönlichen Text über deine Vergewaltigung an ein großes Medium verkauft. Oder damals, als #regrettingmotherhood groß war, öffentlich über die Ohnmachtsgefühle als alleinerziehende Mutter geschrieben. Über eine Fehlgeburt, oder den Selbstmord deines Vaters. Du dachtest, dass du der Gesellschaft damit einen Gefallen tust, dass du etwas in dieser Welt bewirken kannst, und wenn es „nur“ mit deinen Worten ist.

Heute, zwei oder drei Jahre später, stehst du im Leben ganz woanders. Dennoch bekommst du immer noch E-Mails, weil Menschen aufgrund der wiedergeposteten (#repeat) und SEO-rankenden Artikel hinterher nach deiner Mailadresse googlen. Manchmal schreiben die fremden Menschen aus dem Internet nette Dinge. Sie senden dir Zuspruch, für dein totes Baby. Oder wollen über ihre eigene Rolle als Mutter sprechen. Hin und wieder kommt auch eine Zurechtweisung in dein Postfach geflattert. Wie du es „wagen kannst“, so über deine Familie zu schreiben. Deine Eltern. Deine Kinder. Deine Krankheit. Deine Gefühle. Dein Leben.

Du wirst beleidigt und persönlich angegriffen, weil du dich geöffnet hast.

Aber du wirst auch beleidigt und persönlich angegriffen, weil Medienhäuser deine intimsten Geständnisse und Erlebnisse auch noch Jahre später als Kanonenfutter verwenden, um Klicks zu generieren und ihre sinkenden IVW-Zahlen zu pimpen.


Ein viraler Beitrag aus 2018

Damit die Werbeeinnahmen hinterher stimmen, wird schon mal darauf gepfiffen, wie es den Autor*innen damit geht, dass sie sich auch Jahre nach Veröffentlichung mit der eben beschriebenen Art von emotionaler Arbeit herumplagen müssen. Nicht nur mit den Nachrichten von Fremden, sondern auch jener von Bekannten oder der Familie. Vielleicht sogar den Kindern, die inzwischen erwachsen sind und über die Depressionen ihrer Mutter im Internet nachlesen können. Als ob Meinungen und Gedanken unverrückbare Felsen wären.

Wenn man Medien darum bittet, diese Sorte Text, die zwischen 2013 und 2017 besonders populär war und so gut wie jeden Medienbetrieb und damit unsere Feeds flutete, herunterzunehmen, ist von den großen Gerechtigkeitsbestrebungen nicht mehr viel übrig.

Statt auf persönlicher Ebene Verständnis zu bekommen, werden Anwälte eingeschaltet, die die Schuld in bekannter Victim-Blaming-Manier den Autor*innen zuschieben. Uns oft Geringverdienenden also, die naiverweise dachten, bei vermeintlich linken Medien gut aufgehoben zu sein. „Wer solche Texte schreibt, muss eben auch mit solchen Kommentaren rechnen. Wer so hinlangt wie Sie, muss das aushalten.“

Während anderswo Debatten um das Recht auf Vergessen existieren und Datenethikkommissionen Algorithmen nach ihrer Zumutbarkeit prüfen (Hallo, Hoffnung), wird die vierte Gewalt bei der Erarbeitung ethischer Leitlinien „vergessen“.

Ich frage: Wo ist die wertebasierte, menschenzentrierte und gemeinwohlorientierte digitale Zukunft, wenn Medienverlage immer noch in erster Linie an ihren Profit denken?

Solidarität my ass

Rechtlich ist die ganze Angelegenheit eine Grauzone. Ich habe beispielsweise bei keinem Medium, für das ich je geschrieben habe, Arbeitsrahmenverträge unterschrieben, in denen ich mein Nutzungsrecht für immer übertragen hätte. Meine Texte wurden in der Regel per Mail bestellt („Ich hätte gerne Pitch 1, 2 und 5“) und hinterher onlinegestellt. Danach habe ich eine Honorarnote gesandt. Anderweitige Vereinbarungen sind nicht getroffen worden. Weder bei Zeit, ze.tt, Watson, Missy, t3n noch Refinery29.

Das Recht, mit dem jetzt nach meiner Abmahnung und Unterlassungserklärung gegen ein großes deutsches Medium dennoch argumentiert wird, bezieht sich auf die Regelung des § 38 Abs. 1 UrhG.

Nach dieser Vorschrift erwirbt der Verleger oder Herausgeber im Zweifel ein ausschließliches Nutzungsrecht zur Vervielfältigung, Verbreitung und öffentlichen Zugänglichmachung, wenn ihm der Urheber die Aufnahme des Werkes in eine periodisch erscheinende Sammlung gestattet.


Na? Lust, deine Liebeserklärung an die Urinella zwei Jahre nochmal in den Feed gespült zu bekommen?

Inwiefern Jugendmedien wie vice, ze.tt, bento, jetzt oder watson „periodisch erscheinende Sammlungen“ sind, kann man als Medienwissenschaftlerin diskutieren. Genauso, inwiefern es fair ist, Autorinnen und Autoren einmalig einen lächerlichen Betrag von 100 bis 400 Euro für zeitgeistige Debattenbeiträge zu bezahlen und hinterher mit den „selbst preisgegebenen personenbezogenen Daten zu journalistisch redaktionellen Zwecken“ für immer (!) machen zu dürfen, was man möchte.

In was für einer Medienwelt schreiben wir eigentlich?

In keiner anderen Industrie benachteiligen nicht vorhandene (!) Verträge die Urheber*innen oder Werkersteller*innen. In der VFX-Industrie unterschreiben Freelancer beispielsweise zwanzigseitige Verträge, damit deren Auftraggeber auf der sicheren Seite sind. Aber im Journalismus? Chaos und Verantwortungslosigkeit gegenüber den eigentlich Wertschaffenden, wohin man blickt.

Nur ganz unten, im § 38, steht bei Absatz 4 folgender Zusatz: „Eine zum Nachteil des Urhebers abweichende Vereinbarung ist unwirksam.“

Mein Anwalt findet, dass nach § 31 Abs. 5 UrhG vielmehr von einer zeitlichen Beschränkung der eingeräumten Nutzungsrechte von einem Jahr auszugehen ist. Als freie Journalistin habe ich pro Artikel meist einen Betrag von 180 bis 220,00 EUR erhalten. Es kann also nicht angenommen werden, dass ich mit der Annahme eines solch lächerlichen Honorars mit irgendjemandem eine unbefristete Nutzung der Artikel vereinbart habe. Gemäß der “Übersicht über Vertragsbedingungen und Honorare für die Nutzung journalistischer Beiträge im Internet” des DJV beträgt der übliche Nutzungszeitraum 12 Monate. Ein darüber hinausgehender Zeitraum ist explizit zu vereinbaren. Die Darlegungs- und Beweislast über ein darüber hinausgehendes Recht zur Nutzung obliegt den Textnutzern – AKA Verlagen.

Besagtes Medium argumentierte hinterher, dass ich die Artikel ja auf meinem Blog nutze und verlinke (Willkommen im Internet!) und damit quasi meine Rechte „abgebe“. Frei nach dem Motto: Schließlich habe ich 2017 einmal einen Link gesetzt!!1111

Dass alle (!) Journalist*innen ihre Blogs und Webseiten als Portfolios nutzen, hat nichts mit der automatischen Übertragung irgendeines Nutzungsrechts zu tun, sondern damit, dass es branchenüblich ist, seine neuesten Werke zu sammeln.

Ich trage ja auch auf LinkedIn ein, mit wem ich mal gearbeitet habe, ohne dabei gleichzeitig meine gesamten Urheberrechte abzugeben.

Meine Ambition hat sich inzwischen übrigens rumgesprochen. Wenn die Rechtslage so klar ist, warum bekomme ich jetzt verspätete Verträge zugesandt, in denen ich mein Nutzungsrecht im Nachhinein abgeben soll?

Rückmeldungen aus den eigenen Reihen

Ich habe inzwischen in Gesprächen, Nachrichten und Mails viele Rückmeldungen bekommen, in denen mir Autor*innen genau das meldeten: Dass sie keine Lust darauf haben, Jahre später (!) mit Eintages-Texten über jugendliche Sauferlebnisse (*hust* Vice) konfrontiert zu werden. Sei es via Social-Media, oder per Mail.

Dass sie es falsch finden, dass Medien zuerst so tun, als ob sie Interesse an unseren intimsten Geständnissen hätten, mit diesen hinterher aber so sorgsam umgehen wie mit billigen Facebook-Ads. Vielleicht hatten sie ja mal tatsächlich Interesse dran – allerdings, leider, nur im kommerziellen Sinne. Denn wirklich davon profitiert haben die meisten Autor*innen nicht. Eine junge Frau schrieb mir zum Beispiel, dass sie während ihres unbezahlten Praktikums dazu genötigt wurde, etwas zu schreiben, das „relatable“ sei und sie dann mehr aus Zwang, denn aus Lust aus dem Nähkästchen plauderte. Heute erscheint der Eintrag immer noch bei Google auf Page 1.

Mit jeder Online-Selbstentblößung entsteht so ein irreversibler Schaden an den eigenen Erinnerungen, die hinterher nicht mehr ganz die eigenen sind. Auch ein Grund, warum ich mit 26 aufgehört habe, mein Leben ins Internet zu stellen oder Gedanken darüber massenmedial zu teilen.

They don’t deserve your soul.
Keep your art to yourself or share it with people who genuinely care.

Medienhäuser wissen über dieses Dilemma ganz genau Bescheid. Sie freuen sich über jede junge, aufstrebende Stimme, die gerne mal ein bisschen „polarisieren“ möchte und kaufen dann nur noch das, weil alles andere ja nicht genug Aufmerksamkeit bringt.


Von November 2018 ist dieser Artikel – das Thema inzwischen sowas von durch. Egal – Hauptsache man hat genug Content auf Social Media gepostet

Dass wir mit unseren eigenen Texten on top Daten preisgeben, die hinterher gegen uns verwendet werden können – geschenkt. Ja, es kursieren genügend Texte da draußen zu den Themen ADHS, Depressionen, Multiple Sklerose – all that stuff. Ich habe mal gegoogelt und hier schnelle eine Liste erstellt:

  1. “Hallo Depressionen, ihr habt keine Macht mehr über mich!”
    Lena (25) schreibt mit Foto auf Brigitte über ihre Depressionen
  2. „So fühlt sich mein Leben mit Depressionen an“
    Heike Pfenning auf Edition F (Community Beitrag, also vermutlich sogar unbezahlt)
  3. „MS zu haben, ist echt das Letzte – aber die Krankheit gehört zu mir“
    Flavia Dottir, auch auf Edition F (Community)
  4. „Ich habe abgetrieben“
    Andrea Fischer Schulthess im Tages Anzeiger Blog
  5. „ADS-Patientin berichtet: “Habe die emotionale Stabilität einer Pusteblume”
    Gastautorin bei Focus, Mina Teichert

Was einerseits als Empowerment durchgehen kann, wirkt aus einer anderen Perspektive schnell wie Ausbeutung. „Schreib über das Schlimmste, was dir passiert ist und lass andere sich daran bereichern.“

Die Honorare sind mickrig, der Backlash fallabhängig: groß.

Arbeitgeber können googeln und sich ihr eigenes Bild machen, das nicht selten weniger positiv ausfällt als die Rückmeldungen der „Crowd“, die sich verstanden fühlt. Wer es nicht schafft, seine emotionalsten Momente für eine Followerschaft auf Instagram oder Facebook zu instrumentalisieren, schaut hinterher recht traurig drein.


“Schreib doch mal was über deine Haare, ist sicher schlimm so als Schwarze Frau, oder?” – Artikel von Januar 2018, gepostet am 26. Oktober 2019.

Als Nicht-Juristin und Gerechtigkeitsfanatikerin frage ich mich: Gibt es da draußen niemanden in der gesamten deutschen Medien- und Urheberrechts-Branche, der sich mal dem einfachen Nutzungsrecht annehmen möchte, das in der aktuellen Fassung definitiv zugunsten der Verlage ausgelegt wird?

  • Wo sind die Autor*innen, die genauso die Nase voll davon haben, dass auch noch Jahre später auf ihre Kosten Geld gemacht wird, das sie nie sehen?
  • Dass Einmalzahlungen alles sind, was wir bekommen?
  • Es kann nicht sein, dass wir dafür klagen müssen, unsere Texte wieder von Medien herunterzubekommen, mit deren Praxen wir nicht einverstanden sind, nur, weil es scheinbar keine starke Lobby für Autor*innenrechte gibt.

Ich fordere, dass das einfache Nutzungsrecht online auf ein Jahr beschränkt und alles darüber hinaus mit Lizenzverträgen geregelt wird – ähnlich wie bei Netflix. Dass wir an den mit Reposts generierten Umsätzen zumindest beteiligt werden, oder nach Klicks in darauffolgenden Jahren bezahlt. (Und bitte kommt mir nicht mit den mickrigen Beträgen der VG Wort! Ich habe dieses Jahr trotz diverser Reposts auf Seiten wie ze.tt genau 70 Euro von dieser Institution bekommen.)

Ja, dass Verlage sich den Zuspruch vertraglich holen müssen, wie oft sie unsere Artikel hinterher auf Social Media posten dürfen. Ein Printmedium darf  deinen Text auch nicht anderthalb Jahre später nochmal hervorkramen und auf die Titelseite packen.

Ich hab es sowas von satt, dass selbst manche Autor*innen, mit denen ich sprach, nicht verstehen, wo „das Problem“ ist. Vielleicht liegt mein Problem ja auch darin, dass ich inzwischen sehe, wie viel besser es sich anfühlt, auf meiner eigenen Plattform zu publizieren und die Kontrolle darüber zu haben, was genau mit meinen Texten passiert. Dass ich selbst mit meinen Texten Geld verdiene und mich nicht mehr für die Reichweiten anderer prostituieren muss. Dass ich nicht einsehe, etwas von mir für immer herzugeben, wenn es dafür gar keine rechtlich eindeutige Grundlage gibt. Geschweige denn einen Vertrag.

Theoretisch müsste ich jetzt klagen. Ein Prozess ist teuer und – angesichts meiner aktuellen Erfahrungen mit deutschen Justizapparaten – vermutlich nicht zielführend.

Deshalb plädiere ich jetzt an euch. Schreibt den Medien, die eure Texte munter weiterverwerten, dass sie das bitte unterlassen sollen. In meinem Fall hat es gewirkt. Oder schreibt am besten generell nicht mehr für Medien. Egal, ob sie euch Total-Buy-Out-Verträge zukommen lassen, oder nicht. Das ist es nicht wert.

Und meldet euch bei mir, wenn ihr Lust habt, gemeinsam weiterzukämpfen. Sei es in Form einer Sammelklage, oder auf ganz anderem Wege.

Ob Autor*in, Journalist*in, bereits fertige oder gerade studierende Jurist*in (bitte auch Letztere!) – das Internet ist für uns alle “Neuland”.

Das heißt aber nicht, dass wir seine Gesetzeslage nicht an die Gegebenheiten anpassen können.

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