“5 Gründe, warum wir jetzt alle Feminist*Innen sein sollten” – Mir wurde kurz übel, beim Drüberscrollen, aber ihr habt richtig gelesen. Ein Artikel mit diesem Wording ist so auf This Is Jane Wayne erschienen. Ein Blog, der auch dafür bekannt ist, kritische Beiträge über Mutterschaft zu veröffentlichen, oder das grenzdebile Frauenbild in der Werbung, hat sich einer bekannten Formel bedient. Einer Formel, die schwierige Inhalte leicht(er) rezipierbar macht – und somit idealerweise für mehr Reichweite sorgt.

Man kennt den Bausatz ja schon von anderen Klickmaschinen: “XY” Dinge, “warum/die/wie” irgendetwas “jetzt/bald/in Zukunft” hier bitte Adjektiv oder Nomen einsetzen “ist/wird/werden sollte”. So einfach, so trafficfördernd.

image

New-Media-Akteure und jene, die jetzt nachziehen, haben einen beliebig variierbaren Stehsatz für sich gefunden, der für bestimmte Inhalte durchaus angebracht scheint. Zum Beispiel: “10 Dinge, die ich bei meinem Erasmus-Semester gelernt habe.” Oder, aus den Modezeitschriften: “5 Gründe, warum Carmen-Shoulders diesen Sommer der Hit werden”. Sobald diese Art von Listenjournalismus allerdings für politische Werte, ja gar Lebenseinstellungen missbraucht wird, bekommen ernsthafte Ambitionen ein neoliberales Washing.

We love these #grlpwr jackets from @madsnorgaard – out in january 2017 💘 #girlpower Regram @m_nouvelle

Ein von Femtastics (@femtastics_official) gepostetes Foto am

Die Headline von This Is Jane Wayne liest sich wie ein Schlag ins Gesicht für alle Menschen, die sich die letzten Jahre oder gar Jahrzehnte damit beschäftigten, feministische Grundsätze in die Welt zu tragen. 

Sich öffentlich gegen Vorurteile einsetzten, auf die Straße gingen oder im Netz nicht nur gegen Hate-Speech kämpften, sondern auch selbst damit konfrontiert waren. Als minderwertige Idiotinnen beschimpft wurden, als unfickbare Gutmenschen. Was hat sich der gemeine Medienbesitzer eigentlich dabei gedacht, als er das Wissen dieser Menschen marktkonform adaptierte? Tut ja niemandem weh. Richtig? Falsch. Für Leser, die sich noch nicht mit Feminismus beschäftigt haben, liest sich „5 Gründe, warum“ wie eine 15-Minuten-Einheit a la „So wirst du Feministin“. Werbetreibende erinnert sie womöglich an Headlines wie „In 5 Schritten zum Traumbody“. Got the point?

Jetzt, wo der Kampf („Feminismus ist ja doch nicht böse!“) gewonnen scheint – zumindest wenn man sich die plötzlich aus allen Start-Ups sprießenden Artikel ansieht, die sich ja ach so sehr für Geschlechterparität, Sextipps aus der Mädchen oder das Frauenbild in der Werbung zu interessieren scheinen – ist es plötzlich en vogue, auch mal ein bisschen radikal zu sein. Pardon, zu tun. Solange es nicht too much wird, denn wer möchte schon mit diesen shitstormenden, ekelhaften Feministinnen in Verbindung gebracht werden? Ihr wisst schon: Die ohne den schicken Vintage-Klamotten!

image

Die Anfeindungen online? Die richtige Drecksarbeit? Dürfen weiterhin die anderen machen, bis sich die Themen langsam an den Mainstream herangetastet haben. Die Frage nach einem transfreundlichen Leben in einer transfeindlichen Welt? Queere Elternschaft? Organisierter Hass gegen People of Colour? Freiwillige vor. Nischenmagazine wie die an.schläge, die mädchenmannschaft, Katrin Rönicke in ihrem Lila-Podcast oder das Team hinter dem MissyMag. Die Arbeit, die sie verrichten, ist oftmals unterbezahlt. Umso mehr schmerzt es, wenn große Medienhäuser jetzt beginnen, ihnen thematisch das Wasser abzugraben. Was all diese Frauen* noch gemein haben?

Sie instrumentalisieren den Feminismus™ nicht vordergründig für kommerzielle Zwecke. Sie picken sich nicht die netten Extras raus, sondern thematisieren Tabus (Vergewaltigungen durch schwarze Männern nicht anzuzeigen, zB.), führen Interviews, recherchieren ein postkoloniales Dossier und versuchen aufrichtig und authentisch, bei den Leserinnen und Lesern Begeisterung für politische Anliegen zu schaffen. 

Anders als herkömmliche Mode- oder Lifestyleblogs, die gerade erst aus ihrem Slutshame-Albtraum aufzuwachen scheinen, den sie damals aus der bravo-Girl mitgenommen und auch in ihrem Alltag als Redakteurinnen bislang noch nicht so ganz ablegen konnten.

Aber kommen wir weder zum Hauptproblem: Ihr Interesse am Feminismus™ wirkt auf mich wie ein geheucheltes, ein oberflächliches. Eines, das deshalb vorgegaukelt wird, weil damit mittlerweile unternehmerische Meilensteine (“Wir sind ja für Diversity!”) und eine große Zielgruppe befriedigt werden können.

image

Nun darf man mit recht fragen: Was soll das, Groschenphilosophin? Ich dachte, dass gerade du als Feministin froh sein solltest, über die Verbreitung der Message. Ist der Feminismus™ nur jenen vorbehalten, die selbst seit 2010 auf Twitter ranten und sexistische Praxen aufdecken? Und natürlich lautet die Antwort: Nein. Jeder der erkennt, welch gesellschaftlicher Fortschritt dem Feminismus zu verdanken ist, selbst an die Idee glaubt und bereit ist, sich mit Fragen rund um das Thema kritisch auseinander zu setzen, sollte sich Feminist*in nennen dürfen. Ob dies allerdings auch für jedes Medium, jeden Blog und jede Autorin gilt, die sich unter Bauchschmerzen einmal zu einem sprachlich reduzierten Artikel – man nehme ein Beispiel – zu den positiven Aspekten der Verschärfung des Sexualstrafrechts hinreißen hat lassen? I doubt it.

Unter diesen Voraussetzungen wirken Artikel und die dahinter stehenden Menschen vor allem: Opportunistisch. Unauthentisch. Merkt man unter anderem auch an Passagen wie diesen: “Unabhängig davon, ob Gina-Lisa Lohfink vergewaltigt wurde oder nicht (das Verfahren läuft noch)”. R u serious? Wer jetzt noch glaubt, Gina-Lisa hätte das Verfahren genutzt, um weiterhin im Rampenlicht zu stehen, dem ist nicht mehr zu helfen. Ein Artikel zu Feminismus, in dem man Gina-Lisa mal vorsichtshalber als Lügnerin verdächtigt? Solidarisch ist etwas anderes. Ist das nicht einer der Grundsätze von Feminismus™? Oder hat da jemand nicht aufgepasst?

Spannend ist auch Grund 3, warum “wir jetzt alle Feministen” werden sollten: “3. Black Lives Matter”. Unter diesem Punkt werden komplexe Themen wie Polizeigewalt in den USA („Wir mögen in Deutschland nicht das gleiche Ausmaß an institutionalisiertem Rassismus und Polizeigewalt gegenüber Schwarzen haben wie in den USA – aber“), Antirassismus-Trainings für die deutsche Polizei und “all diese Dinge, die wir wegen Schwarzen toll und cool finden” in einen Topf geworfen.

Man hätte auch einfach mal Intersektionalität googeln können. Stattdessen vermischt Julia Korbik politische Sachverhalte, versucht anschließend den Zusammenhang so leicht wie möglich herzuleiten – um dann die These aufzustellen, Rassisten wären automatisch keine, würden sie sich doch endlich für Feminismus interessieren. W00t? Ich schlage als Julias nächsten Pitch einfach mal vor: “6 Gründe, warum wir alle keine rassistischen Arschlöcher sein sollten”.

Und nein, auch Donald Trump ist kein Grund JETZT Feministin oder Feminist zu werden. Die Aufzählung seiner Fauxpas wird so stehen gelassen, ohne konstruktive Denkleistungen zu erbringen. Stattdessen wird sein Äußeres (“orangestichigem Hautton”) gebasht. Das ist nicht nur cheap, sondern auch nicht besser als jene Praxis, die Trump bei Heidi Klum (“zu fett”) anwendet.

In case you forgot: “Feministisch” ist kein Adjektiv, das man sich leichtfertig umhängt wie “hauteng”, “lustig” oder “cremefarben”. Feministisch zu agieren, zu denken, zu leben, ist eine Einstellung.

Feminismus ist kein Buzz-Word. Kein Label, kein GirlGang-Sticker, den man sich aufklebt. Nichts, das man bei H&M kaufen kann. 

Pussy run everything 🌸 #radshop #girlgang

Ein von Rad.co (@rad) gepostetes Foto am

+ posts