Zugegeben: Es ist eine Herausforderung, unter diesen Umständen zu arbeiten. Jeden Morgen, wenn ich in den lichtdurchfluteten Wohnbereich gehe, sitzt dort meine Freundin S. auf der Couch und hat bereits ein Buch in der Hand, über das ich mich gerne unterhalten würde. Hinter ihr: unser Balkon mit Meerblick, unser Balkon auf Zeit mit zwei Klappstühlen, den wir im September als Alternative zum ekelhaften, deutschen Winter gebucht haben.

Zwei Jahre haben wir darüber fantasiert, wie es sein würde, gemeinsam wegzugehen, gemeinsam Pläne zu machen und unseren Alltag als selbstständige Tagelöhner irgendwo im europäischen Ausland zu verbringen. Weit weg von deutscher Grimmigkeit und Regen von unten.

Knappe 1000 Euro haben wir für sechzehn Nächte in der Unterkunft in San Andres gezahlt. 500 Euro pro Person. So viel, wie ein WG-Zimmer im ganzen Monat kostet. Die Wohnung liegt an einer stark befahrenen Straße beim Ortseingang und gehört einem Paar über 60, das sie via AirBnB an Menschen wie uns vermietet.

Kein Schnäppchen, mag manch einer denken, aber tatsächlich war diese 60qm² Wohnung im zweiten Stock mit zwei Schlafzimmern noch eine der günstigeren Möglichkeiten.

Die Wohnung gefällt mir optisch, aber sie ist laut. So laut, dass wir die Baustelle eine Straße unter uns jeden Morgen hören und nachts die vorbeifahrenden LKWs. Nichts davon stand in der Beschreibung.

Vier Stück Gepäck haben wir mitgenommen, denn insgesamt bleiben wir einen Monat in Tenerife. Im September konnten wir nicht ahnen, wie viel wir arbeiten werden. Jetzt vor Ort ist unsere Auftragslage klar. Die finanzielle Unsicherheit erlaubt uns, auch mal so richtig Urlaub zu machen. Und zwar in dem Wissen, dass wir gerade nicht für unsere Roadtrips bezahlt werden, dass wir danach nicht in eine bequeme Festanstellung zurückkehren können und dass wir nicht wissen, wann uns in diesem Jahr das Geld ausgehen könnte.

Die Sache mit dem Geld müssen wir verdrängen, wenn wir jede Woche einmal im Hierbita Santa Cruz essen gehen wollen, genauso wie die Sache mit der unsicheren Auftragslage. Überhaupt erfordert dieses andere Leben jede Menge neues Mindset.

Die Existenzangst ist bei keinem von uns größer als der Wille, hier zu sein. Sie ist nicht größer als die Hoffnung, in Spanien genau die Zeit zu haben, die wir die Jahre zuvor auf den Instagram-Fotos anderer sehen konnten.

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Ich bin selten am Handy und melde mich bei niemandem. Ist das leben? Nach einer Woche Roadtripping, Papas Arrugadas und Spinat-Kroketten haben wir losgelassen.

Hierbita Santa Cruz, beste Restaurant

Die Mundwinkel meiner Freunde heben sich jeden Tag ein bisschen weiter Richtung Ohren, sie witzeln über Kleinigkeiten und überhaupt verändert sich die Stimmung in eine Richtung, in die sie sich nur verändern kann, wenn alle mental einmal kurz befreit vom Kapitalismus sind.

Gedanklich bin ich mehr als tausende Kilometer von Deutschland entfernt. Während wir in Bajamar am Pool liegen, auf unserem Balkon Vino trinken und Tortilla in der Pfanne warmmachen, kommen wir zwangsläufig darauf, wie es wäre, länger hier zu sein. Ja, vielleicht sogar hier zu leben. Wenn wir nur fleißig genug jeden Tag Duolingo üben, und noch ein bisschen weiter vorausplanen und uns hier ernsthaft nach kollektiven Wohnmöglichkeiten umsehen, müsste das eigentlich gehen. Wir suchen nach freistehenden Häuser und finden welche – 180.000 Euro für drei Schlafzimmer. „Dafür kriegste in Hamburg eine 1-Zimmer-Wohnung in Hamm“, sagt S. Alle nicken und scrollen und werfen sich erstaunte Blicke zu.

K. hat es bereits ausprobiert. Wir besuchen sie im Co-Living in der Nähe von Puerto de la Cruz und bleiben zum Grillen. Die Küche wird geteilt, jede Person hat ihr eigenes Zimmer mit Schreibtisch und Queen-Size-Bed. Die Bäder werden geteilt, die Liegen und der Ausblick vom Gemeinschaftsraum ebenso. Das Haus ist stilvoll eingerichtet, ja, auch ich könnte mir vorstellen eine Weile hier zu leben.

Workation Retreat: Was Co-Living so interessant macht, ist das Konzept fernab der Nuklearfamilie aus Mutter, Vater, Kind.

Ja, entfernt erinnert Co-Living sogar an sozialistische Utopien aus dem 19. Jahrhundert, die Alexandra Kollontai für die emanzipierte Frau vorgesehen hatte. Die geschiedene Diplomatin arbeitete an konkreten Ideen für Gemeinschaftsküchen und andere Konzepte, in denen der Einzelnen die Hausarbeit in Teilen abgenommen werden sollte.

In ihren Vorlesungen vor Arbeiterinnen pries sie das Konzept kollektiver Wohnformen regelmäßig an: »Gerade für die werktätigen Frauen bedeutet ein Leben in einer Wohngemeinschaft eine ungeheure Erleichterung; die gemeinsame Küche, die Zentrale Wäscherei, die gesicherte Versorgung mit Brennholz, heißem Wasser und Elektrizität und die Arbeit von Putzfrauen ersparen ihr zahlreiche Arbeiten.« Die Downside sind – wie immer – die Kosten. Ein Doppelbett im Ikigai Co-Living kostet pro Monat 1100 Euro pro Person! Das kommt nicht nur mir absurd vor und hat absolut gar nichts mit Sozialismus zu tun. Schade eigentlich.

Denn es ist nicht nur schön, gemeinsam an einem großen Tisch zu essen, sondern auch praktisch. Ich merke, dass es mich mental erleichtert, nicht ständig für alles alleine aufzukommen. In der zweiten Woche kommt M. und erweitert unsere Gruppe um eine weitere Person. Jeden Morgen macht er mir Tee. S. wäscht unsere Wäsche. Ich buche ein Auto, und stelle die Routen zusammen. Früher nannte man das Clique, heute muss der arbeitende Mensch im Kapitalismus selbst dafür sorgen, Gesellschaft zu haben.

Dabei war ich immer jemand, der sich bewusst gegen WGs entschieden hat.

Die Vorstellung, mir ein Bad mit fünf Personen zu teilen, erschien mir grenzwertig; auf oberflächliche Gespräche nach einem harten Arbeitstag hatte ich so gar keine Lust.

Workation Unterkunft: Was also unterscheidet unsere Co-Living-Situation von einer Standard-WG?

Vermutlich unser Wille, gemeinsam an einem neuen, einem anderen Leben zu arbeiten. Darauf herumzudenken und die Negativa des Miteinanderlebens bewusst in Kauf zu nehmen, statt sie als nervige Nachteile einer Zweck-WG zu verbuchen.

Ich glaube, wir sind einfach zu glücklich, um uns über Haare in der Badewanne aufzuregen oder das fehlende Klopapier. Wir sind zu glücklich darüber, uns als Gruppe gefunden zu haben, die funktioniert.

Die gemeinsam auskommt, weil sie auf dasselbe Wertesystem zurückgreift. Der Weg, den wir bereits in unserem Arbeitsleben zurückgelegt haben, eint uns. Denn auch, wenn es von außen wie ein beliebiger Trend wirkt: Jeder, der in Tenerife ist, hat lange darauf hingearbeitet, ortsunabhängig und selbstständig arbeiten zu können.

Erholung ist ein fixer Bestandteil von Anti-Work.

Es geht nämlich nicht nur um Aktivismus, Arbeitsrecht, Streiks und Widerstand – sondern auch um organisierten Spaß, Erholung und eine bewusste Zeit ohne die anstrengenden Aspekte des Kapitalismus – Rechnungen schreiben, Akquise machen oder Buchhaltung. You name it.

Klar, auch hier erreichen uns Absagen und negative Meldungen. Auch hier ruft die Steuerberaterin an, um uns über eine unerwartete Zahlung zu informieren. Aber gemeinsam tut es weniger weh, weil wir die Probleme, die uns zustoßen, nachvollziehen können.

Weil wir gemeinsam in dieser Wohnung im zweiten Stock in San Andres sitzen, die wir uns ausgesucht haben. We are are in this together, beim Wandern im Anaga-Gebirge und bei der hässlichen E-Mail am Freitagnachmittag.

Ich habe mich selten weniger alleine gefühlt.

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