Selten hat mir ein feministisch gelabeltes Buch so ein schlechtes Gefühl gegeben – und das muss wirklich etwas heißen.

Um was geht’s: Nell Frizzell schreibt ein Buch über die „panischen Jahre“, die ihrer Meinung nach bei Frauen punktgenau an ihrem 28. Geburtstag starten und irgendwann zum Ende der Fertilität, mit Anfang 40 enden.

Gekauft, weil? Weil ich mal wieder ein englisches, feministisches Buch lesen wollte. Der Klappentext klang vielversprechend:

The panic years can hit at any time but they are most commonly triggered somewhere between the ages of 25 and 40. During this time, every decision a woman makes – from postcode to partner, friends to family, work to weekends – will be impacted by the urgency of the one decision with a deadline, the one decision that is impossible to take back: whether or not to have a baby.

But how to stay sane in such a maddening time?

How to understand who you are and what you might want from life?

How to know if you’re making the right decisions?

Das Problem: Indem ich mir ein Buch anhöre, das mir einredet, dass ich mich gerade in den Panikjahren befinde, wird die Panik nicht kleiner, sondern befeuert und künstlich aufgebauscht.

Ein weiteres Problem ist, dass die Autorin sich selbst nicht mehr in den Panikjahren befindet, sondern “rechtzeitig” Mutter geworden ist und deshalb mit einer seltsamen Mischung aus Arroganz und Besserwisserei jetzt autobiografisch auf diese Zeit zurückblickt, wo sie vorbei ist.

Indem mir eine Frau, die – voll panisch – mit 33 DOCH NOCH RECHTZEITIG ein Kind bekommen hat, ihren Weg zum “Ziel Kind” als eine Tortur aus Anxiety, schlimmen Camping-Ausflügen mit unzuverlässigen Männern und überhaupt, eine ganz, ganz schlimme Zeit verkauft, fühle ich mich nicht empowered. Ich fühle mich als 30-Jährige ent-powert. So, als ob es im Leben einer Dreißigjährigen keine anderen Gedanken mehr geben dürfte, als jene um die (angeblich) alles entscheidende Frage: Kinder oder keine Kinder.

Dabei muss diese Frage doch gar nicht die allesentscheidende Frage sein – sie wird Frauen in einem “bestimmten Alter” bloß als die allesentscheidende Frage verkauft und auf Buchtitel gedruckt. Und was daran ist bitteschön feministisch?

Könnte die allesentscheidende Frage nicht auch lauten, ob ich nach Spanien auswandere, oder nicht? Oder, ein bisschen größer gedacht, wie wir den Einfluss von Big Data auf unser Leben eindämmen oder realpolitische Lösungen im Kampf gegen die Klimakrise finden? Aber nein, natürlich ist die ALLESENTSChHEIdEnDe Frage für eine Frau um die 30 die, ob sie in +-3 Jahren etwas aus ihrer Vagina pressen wird können. Ugh.

Obwohl es Nell gut meint, indem sie dieser Lebenszeit analog zur Adoleszenz einen eigenen Namen verpasst, vergisst sie dabei, dass es nur dann eine universell erfahrbare Lebensphase wäre, wenn sie für alle Geschlechter gilt, und nicht ausschließlich für Menschen mit Uterus.

Zumindest wäre es mir nicht bekannt, dass Männer um die 30 auch nur ansatzweise in Panik verfallen, weil sie jetzt in einem „reiferen“ Alter sind, Geheimratsecken bekommen und mehr verdienen als mit Anfang 20 als Barista.

In der Nacht, nachdem ich das Buch angefangen und etwa 80 Seiten gelesen hatte, bekam ich eine Art … Panikattacke. WIRKLICH! Obwohl mein Leben gerade so stabil ist, wie schon lange nicht mehr (noch nie?), bekam ich irgendwie das Gefühl, der Zeit „hinterher“ zu sein.

Das muss man sich erstmal vorstellen: Die gute Nell schaffte es auf 80 Seiten Zweifel in mir zu sähen, die eigentlich längst verstummt waren. I was past that „ooooh aber ich vermisse meine Zwanziger“. Dank Nell Frizzell kamen mir wieder Gedanken wie: „Scheiße, meine besten Jahre sind vorbei.“

Auch, weil sie casually Sätze droppt wie „Wer will schon eine 30-jährige Assistentin einstellen?“ (KEIN WITZ!) oder „Die Zwanziger sind ein Jahrzehnt, keine Lebensform.“

Damit shamt sie nicht nur alle, die auch noch ü30 in WGs leben, hin und wieder mit Freunden ein Gläschen Rotwein am Küchentisch trinken und am Sonntag keine Lust auf langweiligen Brunch mit ihren Schwiegereltern haben, sondern tut irgendwie so, als ob das Muttersein in Kombi mit einer heterosexuellen Beziehung – anders als die egoistischen Zwanziger – sehr wohl eine Lebensform wäre, die sich auch so nennen darf. In den Medien auch bekannt als: Familie.

Es wundert mich wenig, dass Nell in ihrem Reproduktionswahn an keine Familienform denken kann, die sich fernab der klassischen Mutter-Vater-Kind-Utopie ansiedelt.

Ein weiterer Grund, warum ich als Hete null mit Nell relaten konnte, war vermutlich auch ihr alles überschattender Kinderwunsch.

Auf einmal war ich froh, dieses Gefühl nicht zu kennen; ja, ich ekelte mich bei den Passagen, in denen sie sich danach sehnte, dass ein Baby gegen ihre Rippen tritt.

Ich persönlich kann mir aktuell nichts Schlimmeres vorstellen, als mehrere Monate lang aufgedunsen herumzulaufen und keinen Extremsport machen zu können, weil ich zum Wirt wurde. Aber gut.

Gibt’s auch was Positives?

Obwohl es Nell durchaus unfair findet, dass die „panic years“ ausschließlich Frauen vorbehalten sind, bietet sie wenig Lösungsvorschläge an, etwas an diesem Umstand zu ändern. Statt darauf zu scheißen, was die Gesellschaft über ihr Geschlecht, ihren Job und ihr Alter denkt, saugt sie alle gegenüber Frauen bestehenden Vorurteile und Stereotype auf, und zementiert sie.

Sie legt sich genau die Fesseln an, die wir eigentlich mal loswerden wollten, suhlt sich in Selbstmitleid (I’M 28 .. OMFG) und geht anschließend verzweifelt auf Partnersuche. Immer in der Gewissheit, dass sie schlechter dran ist, als ihre verheirateten Freundinnen, ihre bereits kindergebärenden Schulkameradinnen und überhaupt alle Frauen, die es „geschafft“ haben, sich rechtzeitig in klassisch patriarchalen Strukturen niederzulassen. „Wie kriegt man die Konkurrenz aus der Sisterhood?“, fragt Nell, während sie sich Seite für Seite weiter in toxischen Neidfantasien verstrickt.

„Was, bitteschön, soll dieses Buch aussagen?“, frage ich mich. Dass ich mich jetzt besser von meinem Freund trenne, wenn ich auch nur den geringsten Zweifel daran habe, dass er der PERFEKTE Vater meines Kindes wäre (das ich jetzt gar nicht möchte)? Dass ich mich gefälligst daran erinnern soll, dass meine Uhr tickt und mein Marktwert sinkt, und ich deshalb besser aufpasse, wen ich treffe – weil, wenn es nicht der künftige Vater meines Kindes wird, dann = Zeitverschwendung?

„How to know if you’re making the right decisions?”

Ja, du, das Leben ist halt leider keine Rechnung, bei der man eins und eins zusammenrechnet und am Ende zwei rauskommt. Selbst, wenn du den PERFEKTEN Mann findest und dann ein Kind aus dir herauspresst, kann die Beziehung „scheitern“ (auch wieder Auslegungssache, ne?).

Und was ist überhaupt mit der Zeit NACH den panic years? Heißen die dann „basically dead years?“ Sind die – nach Nells Feminismus – nicht noch „panischer“, weil Frauen nach der Fertilität sowieso unfuckable werden und gar keinen Wert mehr in unserer Gesellschaft haben?

Oder hat man dann einen Wert, weil man ja Mutter wurde und deshalb gibt’s keine Panik und … alles ist gut? WO IST DIE LOGIK???

Als ich diese Gedanken in meinem Kopf bemerkte und mich bei jeder Seite mehr ärgerte, wusste ich: „Panic years“ ist kein Buch, das mir etwas mitgeben wird. Wenn überhaupt, wird es mich runterziehen.

Viel lieber würde ich über Frauen in den vermeintlichen „panic years“ lesen, die sich gegen den gesellschaftlichen Druck wehren, Mutter zu werden, fuckable zu bleiben und ihre Geburtstage feiern, statt sich davor zu fürchten. Die sich mit Vierzig trennen, alleine reisen gehen und dabei nicht in Panik verfallen.

Die Dreißiger sind für mich persönlich keine panic years. Sie sind die erste Dekade, in der ich wirklich ich bin, unapologetic für meine psychische und physische Gesundheit einstehe und nur dann eine Beziehung aufrechterhalte, wenn ich die Person aus tiefstem Herzen dafür liebe, wer sie ist.

Die erste Dekade, in der ich mich nicht anbiedere oder mit jemandem schlafe, um meinen Selbstwert zu boosten. Anders als Nell weiß ich, dass mein Lebensglück nicht davon abhängen wird, ob ich Kinder haben werde oder nicht. Dass ich mehr sein kann, als Mutter.

Und das? Ist verdammt befreiend.

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