Es gibt viele Praxen, die mich am Berufsleben irritieren. Eine davon ist die Selbstverständlichkeit, mit der unsereins Arbeitsverträge unterschreibt oder gar „cross-country moved“, ohne sich vorher zumindest einen Tag (!) an der Arbeitsstätte umgesehen zu haben.

Schließlich testen wir doch auch alles andere vorab, bevor wir uns final entscheiden. Den Musikstreamingdienst, die Zeitung – oder den Partner.

Worst Case: Das „dynamische Team“ hat vor Ort mehr mit Einzelhaft gemein, als du beim ersten Telefonat riechen konntest und die familiäre Atmosphäre erweist sich beim näheren Hinsehen als chaotische Lebensgemeinschaft im Erdgeschoss. Wer künftig also bessere Entscheidungen für sein Berufsleben treffen möchte, macht am besten nach dem erfolgreichen Bewerbungsgespräch einen unverbindlichen Termin zum Probearbeiten aus.

Dieses ist zwar in der Regel unbezahlt, dafür liefert es essentielle Einblicke hinter die Kulissen, die einen nicht unwesentlichen Beitrag zur Entscheidungsfindung beitragen können.

Jeder Mensch ist anders, klar – und doch gibt es einige Fixpunkte, auf die du bei deinem Probearbeiten achten kannst.

1. Die Arbeitsatmosphäre

Du wirst gleich am ersten Tag von der Rezeptionistin angefaucht, weil sie nicht weiß, wie man deinen Nachnamen buchstabiert?

Die Chefin schaut als Erstes grimmig auf die Uhr, wenn sie dich ihr Terrain betreten sieht – obwohl du überpünktlich bist? Alarmstufe rot!

Wie frostig die Atmosphäre wirklich ist, erkennt man oft schon in den ersten Minuten nach Dienstantritt. Herrscht generelle Hektik oder Unsicherheit, wirst du das an angestrengten Mitarbeiterinnenblicken und einer sich hierarchisch überlegenen Chefetage erkennen, die nach getaner Arbeit immer noch eins draufsetzt, um eins draufgesetzt zu haben.

Du erkennst es aber auch daran, dass keiner Bock hat, sich um dich zu kümmern und lediglich Dienst nach Vorschrift verrichtet.

2. Die Einarbeitung

Es ist dein erster Tag – und du fühlst dich wie bestellt und nicht abgeholt? Die Menschen um dich wissen nicht einmal, dass du kommst und deinen Namen, da bist du dir sicher, wird sich hier auch niemand merken? Willkommen in der Fließbandarbeit, in der du niemals mehr sein wirst als ein austauschbares, anonymen Glied der Kette. Wenn es genau das ist, was du dir wünscht: Gratulation! Unsichtbar zu sein und keine eigenen Entscheidungen zu fällen, hat auch seine Vorteile.

Merkst du hingegen, dass sich die Kollegen interessiert an dich rantasten und fragen, ob du „jetzt hier anfängst“, ist das ein gutes Zeichen. Wenn dich deine Vorgesetzten noch dazu ordentlich briefen (+-20 Minuten) und im Anschluss ernstzunehmende Aufgaben an dich weiterleiten, kannst du dir ziemlich sicher sein: hier wird professionell gearbeitet.

Schließlich bedeutet ein guter Arbeitsplatz für die meisten auch, dass die eigene Expertise gewünscht und verlangt wird und die individuellen Fähigkeiten bei der Aufgabenstellung berücksichtigt werden.

3. Die Zukunftsvision

Während des Probearbeitens wirst du dir natürlich die Frage stellen, ob du hier noch öfters vorbeikommen wirst. Achte deshalb darauf, was dir dein Bauchgefühl sagt. „Okay, das kann ich mir echt vorstellen“, „WOW! Wenn das klappt, bin ich die glücklichste Arbeitnehmerin überhaupt“ oder „Hm, irgendetwas fühlt sich faul an!“ sind alles legitime Gefühle, die dir in den ersten Stunden Muffensausen und Glückshormone verpassen können.

Wenn du ein ganz komisches, unzuordenbares Gefühl hast und dich noch dazu unwohl fühlst, solltest du – wenn es dir finanziell möglich ist – lieber weitersuchen und im Falle der Zusage dankend ablehnen.

4. Die Beziehung der Angestellten unter sich

Am ersten Tag gehörst du natürlich noch nicht zur Stammbesetzung. Und doch kannst du anhand des Tons untereinander gut erkennen, was dich erwartet. Werden Ideen laut durch den Raum geschrien, um den Chef zu beeindrucken? Gibt es immer zwei bis drei „Tratschtanten“, die im Eck stehen und lästern? Wer geht mit wem zum Mittagessen, oder: Warum wird Max außen vor gelassen? Wer aufpasst, bekommt recht genau mit, wie das Cliquengefüge zusammenhängt und wer zu den „coolen Kids“ gehört.

Falls du keinen Bock auf Cliquengetue und Labels wie „Cool Kids“ hast, wäre das also dein Ausschlusskriterium. Wenn du hingegen gerne eine zweite Familie hättest, kann es durchaus von Vorteil sein in einer Firma zu arbeiten, deren Mitarbeiter auch nach Feierabend ständig zusammen abhängen, feiern und Biertrinken.

Wie du die Beziehungen der anderen untereinander beurteilst, hängst also ganz von deinem persönlichen Naturell ab. Ein guter Indikator ist auch, ob es Mitarbeiterinnen über 40 oder gar 45 mit Kindern gibt. Das spiegelt die Vereinbarkeit von Privatleben und Karriere meist besser wieder als jede gutgefälschte Kununu-Bewertung.

5. Die Lautstärke

Besonders wichtig für Lärmempfindliche und Introvertierte: die Lautstärke im Office – und die damit zusammenhängende Rücksichtnahme oder Rücksichtslosigkeit der Belegschaft. Gibt es jemanden, der das Radio unnötig laut aufdreht, wenn der Lieblingssong kommt? Und falls ja: wird dich das später in den Wahnsinn treiben, wenn niemand vor hat, ausgerechnet wegen dir leiser zu drehen?

Gibt es eigene Telefonkabinen, in die sich Mitarbeiterinnen zurückziehen können? Gerade in PR- oder Journalismus-Redaktionen ist das das A und O, um in Ruhe arbeiten zu können.

Die Lautstärke im Office spiegelt zu einem gewissen Grad auch den Führungsstil der Chefetage (ruhig, gelassen, energisch, autoritär) wieder. Wo wir gleich beim nächsten Punkt wären:

6. Die Ausstattung

Du hast Lust auf eine solide Festanstellung ohne großem Firlefanz, findest dich beim Probearbeiten allerdings auf einem Kindergeburtstag inklusive Goodie-Automat, Fotostand, Tischtennisplatte und Bällebad wieder? Vorsicht! Gerade Start-Ups versuchen gerne mit netten Gadgets die konstante finanzielle Unsicherheit des eigenen Vorhabens zu übertünchen.

Party-Fotos der Belegschaft im Eingangsbereich deuten darauf hin, dass du viel emotionale Arbeit abseits deiner eigenen Tätigkeit investieren wirst müssen, ohne dafür zwingend belohnt zu werden.

Ein cleanes Office mit einer sauberen Küche deutet wiederum auf eine gewisse Erwachsen-, und Nüchternheit hin. Wenn dich noch jemand daran erinnert, den Geschirrspüler einzuräumen, statt das Heferl einfach zu den anderen in den Abfluss zu stellen, kannst du relativ sicher sein: hier herrscht noch die gute, alte Schule deiner Großmutter, die sich vielleicht hin und wieder lästig anfühlen wird, dafür aber pünktlich um 17:30 endet, wenn alle inklusive der Chefs das Büro verlassen. Denn sie wissen genau wie ihre Mitarbeiter: genügend Erholung ist essentiell, um langfristig gerne ins Büro zu kommen.

Wer in diesem nicht übernachten muss, kann also auch auf superbequeme Hängematten und Schlafsofas verzichten.

Fragen, die du dir stellen kannst

Ich habe hier nochmal eine kurze Checkliste zusammengefasst, an derer du dich beim Probearbeiten orientieren kannst

– Wie wurdest du empfangen?
– Hat sich jemand für dich verantwortlich gefühlt?
– Hattest du konkrete Arbeitsanweisungen?
– Wirken die Arbeitnehmer gestresst, genervt oder gelangweilt?
– Gibt es Hierarchiekämpfe, die durch Mobbing oder Lästerei ausgefochten werden?
– Hängen Partyfotos an den Wänden?
– Gibt es Mitarbeiter jenseits der 40?
– Müssen die Mitarbeiter ihre eigenen Arbeitsmaterialien (Laptop) mitnehmen?
– Gilt die Meeting-Regel: wer am lautesten schreit, setzt sich durch?
– Läuft das Radio und falls ja: hast du damit ein Problem?
– Bist du die Erste, die um 19 Uhr nach Hause geht, wenn um 18 Uhr Schluss war?
– Wann gehen die Chefs?
– Wirst du (positiv) verabschiedet?
– Was sagt dein Bauchgefühl zur Zukunftsvision?

Jetzt, wo du hoffentlich alle deine Fragen klären konntest, kannst du deiner Bezugsperson ein paar Tage später natürlich dein positives Feedback zukommen lassen und auf deinen Wunsch nach einer Anstellung verweisen.

Falls nicht: Ein Anruf in der Personalabteilung kann nicht schaden, um dein konstruktives Feedback anzubringen und dich von der Option der Zusammenarbeit zu verabschieden.

Viel Erfolg wünscht,

 

Bianca Jankovska

(Ich bin gespannt auf eure Kommentare!)

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