Shame on me, ich re-watche gerade Sex and the City. Die alten Folgen, Staffel 3 und Staffel 4. Und dabei fällt mir etwas auf: Die Serie ist nicht nur progressiver, als viele Millennial-Feeds auf Instagram (ich sag nur: Mamablogger made me not wanna have children); die Freundschaften der vier Frauen sind auch sehr viel realer, ehrlicher, enger und leidenschaftlicher, als es meiner Beobachtung nach inzwischen üblich geworden ist.

Ein Medientagebuch.

Was mir aufgefallen ist:

1. Verlässlichkeit

Manchmal frage ich mich, ob Verlässlichkeit eine Frage von Freundschaft, eine Frage der Erziehung oder eine Frage der Generation ist. Oder ist es letztlich eine Frage des Charakters? Die Frauen in SatC sind vom Jahrgang her jedenfalls Boomer on the edge zu Gen X (Cynthia Nixon ist Jahrgang 1966) und gerade im Vergleich zur heutigen Gen Y-Z-Flakyness fällt mir ihre Verlässlichkeit: positiv auf.

Oder, anders gesagt: Carries 35. Geburtstag beim Italiener, zu dem sich alle eingeladenen Gäste ein wenig verspäten, wird als absolute Ausnahme dargestellt. GANZ GROSSES DRAMA!

Im Berlin/Wien/Hamburg anno 2017-2023 ist es eher die Ausnahme, wenn überhaupt wirklich alle (irgendwer?) erscheinen und nicht die Hälfte der Belegschaft am selben Tag cancelt.

Weil: ist eben so, man fühlt sich nicht gut. Selbst schon gemacht, selbst schon erlebt. Aber schlimm ist es doch eigentlich trotzdem.

Ich weiß, ich weiß: Sex and the City ist nur eine Serie, aber dass die Frauen einen Brunch auslassen, kommt kaum vor. Auch heben die Menschen noch ab, wenn sie angerufen werden. Auch um 3 Uhr nachts, oder um 8 Uhr morgens vor der Arbeit. Wer würde sich das heute in einer Freundschaft trauen, um 3 Uhr nachts anrufen? Okay, ehrlicherweise bin ich darüber sogar ganz froh. Trotzdem finde ich, dass Freundschaft ohne diesem tiefen Urvertrauen und einer gewissen selbstverständlichen Verlässlichkeit nicht funktioniert.

2. Die Frauen sagen sich auch mal unangenehme Dinge

Wisst ihr noch, als sich Carrie mal wieder gaaaanz unschuldig und freundschaftlich mit Mr. Big treffen wollte? Und ihr alle drei diesen Blick zuwarfen? Ja, Judgement war damals normal – und an dieser Stelle vermutlich ziemlich angebracht. Schließlich hat Big Carries Leben nicht nur einmal zerfetzt. Seither hat judgen in Freundschaften ungefähr das No-Go-Level von Koriander angenommen, … also je nachdem, wen du fragst.

Oder wisst ihr noch, als Carrie Geld für ihre Eigentumswohnung brauchte, weil sie sonst obdachlos gewesen wäre und Charlotte ihr als Einzige der drei Freundinnen kein Geld leihen wollte, obwohl sie die Reichste der drei war? Und Carrie Charlotte deshalb später zuhause besuchte, um sie out-zu-callen? (Man stelle sich vor, dass heute irgendwer bei irgendwem nach einem Streit vorbeifährt. Da wird wahrscheinlich die Polizei gerufen.)

Oder als Charlotte aufhören wollte, in der Galerie zu arbeiten, weil sie lieber Hausfrau und Mutter werden wollte (#Tradwife), und Miranda ihr ordentliches Kontra gab?

 

Später musste Miranda Charlotte am Telefon erklären, dass es auch noch Frauen gibt, die arbeiten müssen. Charlotte bestand dennoch darauf, „eine Wahl“ getroffen zu haben. Die beiden haben sich an diesem Tag nicht vertragen. Komisch. Ihre Freundschaft überlebte den Zwist.

Okay. Komm zum Punkt, Bixe. Was haben diese drei Szenarien gemein? Aus heutiger Wokeness-Perspective vermutlich: Verbale Gewalt. In Sex and the City fliegen schon mal Telefonhörer, es gibt irritierte Gesichter und die Frauen verlassen den Brunch, weil sie sich verletzt fühlen.

Aber, an dieser Stelle ein fettes Aber: Die Frauen haben auch jedes Mal wieder die Courage, sich zu vertragen. Bei der anderen anzurufen, ihr Verhalten zu reflektieren und sich zu entschuldigen. Oder noch einmal über die Sache zu reden.

Allesamt Handlungen, die in unserer heutigen „Freundschaftskultur“ rare Ware sind. Kurz: die Frauen sind menschlich, und keine abgerichteten Roboter. Ich weiß nicht, wie viele Gespräche ich im letzten Jahr darüber hatte, dass sich irgendwer aus einer Freundschaft verpisst hat, weil es ein Missverständnis/Silent-Treatment oder nichterwünschte Kritik auf WhatsApp gab. Bestimmt… zehn.

Heute geht nämlich die eigene Mental Health immer vor – komme, was wolle. Und wer da reinpfuscht oder ein Störsignal auslöst, ist schneller weg vom Fenster, als man „Sorry, can we talk again“ texten kann.

3. Sex and the City: Die Frauen sehen sich als Kernfamilie

Als Miranda erzählt, dass sie schwanger ist, werden ihre drei besten Freundinnen zu Tanten. Carrie verkündet diese Neuigkeit in einem Voice-Over – und niemand spricht weiter darüber. Warum auch? Der Umstand dieser nicht-biologischen Verwandtschaft wird nicht als etwas Neues, Bahnbrechendes verkauft – sondern als Normalität.

Auch gut: Als Mirandas Mutter stirbt, fliegen ihre Freundinnen selbstverständlich nach Philadelphia zum Begräbnis.

Mirandas Verwandte? Interessieren niemanden. Und selbst die ultrakonservative Charlotte verlässt sich an ihrem Hochzeitstag nicht auf ihre Mutter, ihre Schwester (hat sie überhaupt eine?) oder ihren Vater – sondern auf: Carrie, die ihr noch kurz vorm Gang zum Altar einen tröstlichen Ratschlag bezüglich Trays Penis gibt.

Urlaube, Feiertage, Geburtstage – es sind die Mädels, die zusammenkommen. Manchmal mit den Jungs, aber immer mit den Mädels. Man merkt ganz einfach, wie sich die Frauen in ihrem Leben gegenseitig priorisieren und ihre anderen Verabredungen um die Wahlfamilie bauen.

4. Drei von vier Frauen leben nicht amatonormativ

Quelle: Urban Dictionary

Die heiratswütige Charlotte ist in SatC die Ausnahme – und nicht die Regel. Obwohl alle Frauen ü30 sind, möchte nur eine unbedingt heiraten, Kinder kriegen und den ganzen heteronormativen Pärchen-Bullshit mitspielen. Irgendwie cool, denn dadurch wirken Carrie, Samantha und Miranda wie die Normalität, und nicht die bemitleidenswerte Ausnahme.

Obwohl durch das Umfeld der vier Frauen irgendwie klar wird, dass sie als weibliche ü30-Singles in New York doch irgendwie die Ausnahme bilden („Wir sind die einzigen Singles, egal wo“ – Zitat Carrie), macht es doch Hoffnung, drei der vier Frauen bei einem unkonventionellen Leben zu beobachten.

Miranda wird Single-Mom by Choice, Carrie lässt den bindungswilligsten Mann mit handwerklichem Geschick gehen und Samantha, ja Samantha ist fast schon die Karikatur einer sex-positiven Influencerin. Heute hätte sie bestimmt ein Buch über ihre Lust geschrieben.

5. In Sex and the City ist das Leben nicht mit 30 vorbei

Wie oft habe ich in den letzten fünf Jahren gehört, dass es als Frau ab 30 aber schon wirklich schwierig wird? Weil dann müsse man ja wirklich mal ran, an den Mann, ans Haus, ans Setteln, ans Kinderkriegen oder zumindest Kinderwollen. Wie oft habe ich den Satz gehört: „Wir sind ja jetzt auch schon alt, hihi.“ Oder: „Naja, in unserem Alter sollte man sich das doch noch einmal überlegen“.

Und dann gibt es jemanden wie Carrie Bradshaw, die scheißt auf alle Konventionen und trägt mit ü30 nicht nur bauchfrei, sondern auch Ultraminiskirt. Oder Samantha, die einfach jedes Kleid mit extravagantem Rückenausschnitt nailed.

 

Die Ladies fahren zusammen nach LA, sie gehen samstagabends aus, obwohl sie Boyfriends zuhause sitzen haben und sie trinken Bier, umhüllt in Papiertüten. Sie stehen auf Gästelisten und die Männer auf sie. Keine der vier (okay, außer Charlotte) hat panische Angst vor den Dreißigern, keine der vier ist übertrieben gebotoxt und keine der vier glaubt, dass sie jetzt „den Zenit“ überschritten hat. Carrie, Samantha, Miranda und Charlotte leben das Leben, das sie sich gebaut haben und sind stolz darauf.

Fazit

Call me oldfashioned, aber ich finde es schade, dass die Serie so in Verruf geraten ist, weil sie auf der PC-Skala nicht ganz vorne mitspielt. Ja, in Punkto Transrechte gäb’s was aufzuholen, und ja, die Serie war super white. Und ja, die Frauen waren weder behindert, noch fett.

Aber, aber liebe Leute: Ich habe die Serie 2023 zum ersten Mal seit langer Zeit wirklich gründlich re-watched und muss sagen – ich bin irgendwie entsetzt darüber, in was für einer langweiligen, tristen, einsamkeitsdurchtränkten Ära wir im Vergleich zu damals leben. Und das sage ich nicht in Bezug auf mein ganz persönliches Leben, sondern in Relation zu dem, was ich in meinem Umfeld, im Großraum Berlin bis Wien, wahrnehme. Aus den DMs, die ich bekomme und den Gesprächen, die ich in meinen Beratungen führe.

Auf die Gefahr hin, wie ein Boomer zu klingen: Haben wir die Toleranz, Meinungsunterschiede in Freundschaften auszuhalten? Wo ist die Fähigkeit hin, sich zu entschuldigen? Wo sind die fixen Brunch-Termine? Wo sind die Freundinnen, die Tanten werden, wenn du keine Geschwister hast (und auch, wenn du welche hast)? Wo sind gemeinsam verbrachte Wochenendausflüge ohne die Jungs? Wo ist die Verlässlichkeit, die sich alle angeblich so sehr wünschen?

Ich glaube, wir können mehr von der Serie in Punkto Freundschaft und Leben lernen, als noch vor Kurzem gedacht.

So. Ich lass das jetzt einfach mal so stehen und gehe wieder Sex and the City schauen.

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