Ich erinnere mich an das Internet vor acht Jahren. In Foren tauschten sich junge Mädchen über den Muschifurz aus. Es gab kein deutschsprachiges Vice, das ihnen versicherte, dass sie sich dafür nicht schämen bräuchten und mit so vielen Jungs schlafen konnten wie sie wollten, ohne als Schlampen zu gelten.

In diesem prä-professionellen Internet warteten künftige Mode-Bloggerinnen, Reiseexpertinnen und angehende Feministinnen auf ihren großen Durchbruch, während sie Psyche und Körper auf ein Leben in ständiger Konkurrenz einstellten. Sie wussten noch nicht, wie sie mit ihrer imaginierten Leidenschaft Geld verdienen würden, aber das machte nichts. Sie sollten sich in Ruhe ausprobieren, solange ihnen der Kapitalismus noch nicht unter den Rock blicken konnte.

Die ersten Trend-Diktatorinnen, die ich halb-persönlich von früher kenne, haben 2007 mit dem Bloggen angefangen und sind heute zu Marken geworden. Ihnen sind viele gefolgt. Zu viele, um jetzt noch einen ernsthaften Gedanken daran zu verschwenden, nachzuziehen. Der Markt ist übersättigt. Auch von Menschen, die nebenberuflich Marmelade einkochen und Avocados dekorieren und davon hübsche Fotos machen, mit ihrer Canon 600D. Ihre Bestrebungen haben nicht nur vielen von uns zu einem schöneren Lifestyle verholfen, sondern auch Nachahmer mit ins mediale Haifischbecken geholt, wo sie gemeinsam mit gedrillten Henri-Nannen-Strebern um die wenigen festen Redakteursjobs buhlen.

Wo sind die Food-Blogger von 2012? Manche verlinken mittlerweile hauptberuflich Küchengeräte, andere haben aufgehört. Manche sind im Onlinejournalismus gelandet, man darf fragen, was schlimmer ist. Ähnlich ist es den vielen Mode- und Lifestylebloggerinnen ergangen. Wer sich seit Jahren über Wasser hält und tatsächlich davon leben kann, hat seine Privatsphäre zugunsten des aus der Ferne urteilenden Publikums beerdigt.

Diese Szenarien, sie sind nur Ausschnitte aus einer DIY-Gesellschaft, die sich im Laufe der letzten Jahre professionalisierte und mithilfe von kommerziellen Anreizen die Spreu vom Weizen trennte. Denn nur wer lauter schreit, aggressiver selbstausbeutet und sich ständig neu erfindet, kann auf Dauer neben den Medienriesen bestehen, die wiederum ihrerseits Angst haben. Vor YouTube-Kids, die mit DM-Beauty-Hauls mehr Aufmerksamkeit kriegen als alle Artikel zum Syrien-Krieg zusammen – und ihnen damit die Schrauben aus den ergonomisch geformten Schreibtischstühlen drehen.

Welche Auswirkungen haben diese Beobachtungen auf die Rezipienten, entschuldige, uns? Das Ergebnis spiegelt sich bereits in den sinkenden Klick- und Interaktionsraten wider. Wer klickt auf das zehnte Rhabarber-Kuchen-Rezept, wenn man es doch bei Bedarf googeln kann? Wer interessiert sich für das “Viral”-Video, das jede News-Seite in einen einzelnen 3-Sätze-Artikel verpacken muss, um auch mitzunaschen, am immer kleiner werdenden Aufmerksamkeitskuchen? Geschadet habt ihr euch, alle zusammen. Weil die einen weg gingen, um etwas Neues zu machen und die anderen geblieben sind, um das gerade Erschaffene zu kopieren.

Nur leider. Die Menschen haben keine Lust mehr, mit den immergleichen gefühligen Texten, First-World-Problems und Outfit-Kombinationen vollgeballert zu werden.

Depressionen? Jedes Jugendportal hat mehrere Artikel dazu und Twitter seine eigenen Autoren. Stress, weil Mitte zwanzig? Bitte nicht. Frauen, die keine Kinder möchten? Frauen, die doch Kinder möchten. Männer, die Männer lieben und erzählen, wie sich das anfühlt – na wie wohl?

Keine Geschichten in diesem von Dorfkindern betriebenen Großstadt-Journalismus, die man nicht schon gelesen hätte. Als Antwort schickt man eben wieder die Axel-Springer-Kollegas vors Berghain. Oder macht Jahrestags-Journalismus.

Die Sprache, die Formate, die im Wochentakt von anderen kopierten Ideen – sie wirken abgenutzt. Statt Innovation zu fördern, haben Medienmacher künftigen Generationen ein verbranntes Stück Internet hinterlassen.

Es wundert wenig, dass sich junge Nutzer, Pardon, Leser genau dort nicht mehr aufhalten wollen.

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