Statement zum Caro Wahl Shitstorm (angeblich differenziert)

Heute ist es soweit, und ich muss doch was zu Caro Wahl sagen. Vorab: ich hab nichts gegen sie, weder privat noch beruflich, und kenne ihre Bücher nur auszugsweise. Sie sind stilistisch nicht mein Ding – und deshalb hab ich das Thema nie weiter verfolgt. Ich gönne ihr den Erfolg, bitte gurl. Mach deine Million.
ABER. Nicht jede (!) Kritik an Caro Wahl ist automatisch Misogynie. Kritik an Schreibstil, Figurenzeichnung, Themenwahl oder auch am öffentlich inszenierten Lifestyle kann inhaltlich begründet sein. Wenn wir jede Form der Auseinandersetzung sofort als frauenfeindlich brandmarken, machen wir zwei Fehler:
1. Wir entleeren den Begriff „Misogynie“. Wenn alles Misogynie ist, ist nichts mehr Misogynie.
2. Wir immunisieren bestimmte Autorinnen gegen jede Kritik.
M1 take: Ich bin selbst publizierte Autorin und finde es schwierig bis unmöglich, wenn privilegierte Upper-Class-Kids Romane über Working-Class-Themen verfassen. Das ist in der Vergangenheit schon ein paar Mal schiefgegangen, ohne dass ich jetzt Namen nennen möchte. Die Charaktere wirken schief, sie wirken billig, sie wirken oft auch ganz einfach nicht realistisch. #ausgründen
Und ja, das darf man kritisieren. Ich würde es mir nie anmaßen, einen Roman über eine arme Person zu schreiben, weil ich selbst nie armutsbetroffen war. Das passt für mich moralisch nicht.
Ich finde auch Headlines wie „Lasst die Frau Ferrari fahren!“ in der taz gelinde gesagt absurd. Ist es weniger problematisch, wenn eine Bestsellerautorin mit Luxus protzt, als wenn ein Bestsellerautor es tut?
Das zu feiern, während wir über Klimakatastrophen sprechen, ist blanker Zynismus. Es ist dieselbe Logik, mit der Menschen sagen: „Lasst Taylor Swift doch ihren Privatjet fliegen“ – weil sie eine mächtige Frau ist, und damit irgendwie … immun.
Frauen werden auf ein Podest gehoben, weil sie bestimmte Räume historisch lange nicht betreten durften. Aber das bedeutet nicht automatisch, dass ihr Verhalten dadurch „gut“ oder weniger kritisch zu bewerten wäre.
Ich sag’s, wie es ist: Sobald eine Künstlerin Millionärin ist, verschiebt sich ihre Verantwortung. Dann geht es auch um ethischen Umgang mit Reichtum, Ressourcen und Macht. Eine Frau, die in dieser Liga spielt, ist strukturell näher dran am alten weißen Mann als an der alleinerziehenden Mutter mit zwei Jobs. Sie repräsentiert nicht mehr „die Frauen“, sondern eine globale Oberschicht. Das zu benennen ist keine Misogynie, sondern notwendige Kritik an Klassenverhältnissen.
Kritik an Caro Wahl bedeutet natürlich nicht, sie persönlich anzugreifen. Ich lehne jegliche Kritik an ihrem Äußeren, an ihrem Sprechstil und ihrem Wesen ab. Aber es bedeutet, Widersprüche zu benennen: zwischen ihrem gesellschaftlichen Stand und dem ihrer Leserinnen; zwischen feministischer Selbstinszenierung und den realen Klassenverhältnissen; zwischen der Idee von „authentischer Literatur“ und dem tatsächlichen Zugang zu Lebensrealitäten.
Die Kritik an Caro Wahl kommt verspätet, aber sie ist nicht unbedingt unberechtigt.
Es gibt schlechten Stil, es gibt schlechte Bücher, es gibt problematisches, unethisches Verhalten in der Kreativ-Produktion – auch von Frauen. Und das darf – nein, das muss sogar – benannt werden.
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