Oh wie leid ich all die negativen, traurigen Takes über Kontaktabbruch mit den Eltern habe. Die vielen Zeitungsartikel und Support-Gruppen, die sich auf die armen, verlassenen Mütter konzentrieren. Auf ihr Leid – statt die Tat beim Namen zu nennen, die sie verbrochen haben.

KINDES
MISSHANDLUNG

IT
IS.

Einer, der das Kind wirklich beim Namen nennt (sorry für den wortwitz), ist der Autor Eamon Dolan. Von seiner Mutter tausendfach verprügelt, kämpfte er sogar noch in seinen frühen Vierzigern um ihre Anerkennung, ohne ernsthaft daran zu denken, die Beziehung zu beenden.

Egal, was Dolan tat – es war nicht gut genug, und sein prestigeträchtiger Job in der Publishing Industry New Yorks war es schon gar nicht. Erst, als er in seinen Fünfzigern selbst aus verlegerischer Perspektive über das Thema Kontaktabbruch nachdachte, fiel ihm auf, dass keiner seiner Autoren darüber schreiben wollte. Zu groß das Stigma, das mit Kindesmisshandlung einhergeht. Obwohl es Millionen von Menschen alleine in den USA betrifft.

Also setzte er sich selbst ran.

Denn auch Dolan hatte es satt, ständig für seinen Kontaktabbruch – Ende 40 gelang es ihm doch noch, sich abzuwenden – bemitleidet und bevormundet zu werden. Schnell dämmerte ihm, warum das so war.

Die vielen problematischen Family-First-Narrative, von „Blut ist dicker als Wasser“ bis hin zu „Man hat nur eine Mutter“ werden sowohl von der Kirche, der Justiz, als auch so mancher dubiosen Psychotherapeutin gestützt.

Also recherchierte Dolan, und fand heraus, dass Gewalt gegen Kinder die zahlenmäßig größte Quelle von domestic violence weltweit überhaupt ist. Und trotzdem kaum etwas dagegen getan wird. Weil: siehe oben.

Neben vielen interessanten Studien, die belegen, was diese Form der Gewalt langfristig mit Individuen anrichtet, emanzipiert uns Dolan mit seinem Stolz und dreht so das „traurige Narrativ“ in eine völlig neue Richtung.

So berichtet er beispielsweise sehr ausführlich davon, sich erst nach dem Kontaktabbruch mit seiner höchst gewalttätigen Mutter von dem Trauma erholt zu haben. Mit seinem Heilungsprozess begann zudem auch eine völlig neue Sicht auf zwischenmenschliche Beziehungen im Generellen, und eine deutliche Verbesserung seiner eigenen Lebensumstände.

Obwohl er Emotionen wie Grief und Guilt in seinem Buch nicht ausklammert, und auch durchaus über die schwierigeren Momente des Kontaktabbruchs berichtet, bleibt er stets Supporter des betroffenen Lesers und vermittelt eine klare Message:

Ein Kontaktabbruch kann die größte Befriedigung sein, die ein ehemals missbrauchtes Kind jemals gegenüber seinen Eltern verspüren wird. Und, auch schön: Der finale Kontaktabbruch ist in den allermeisten Fällen der Katalysator für persönliches Wachstum, Trauma-Verarbeitung und ein Leben in Würde und Frieden. Etwas, das mit dem weiterhin bestehenden Kontakt zum missbrauchenden Elternteil sehr wahrscheinlich nicht möglich wäre.

Dolan ist es wichtig, dass dieses fast schon vorsätzlich vorenthaltene Wissen unters Volk kommt – und der Fokus auf das Wohlbefinden der Opfer gelenkt wird, statt auf die Mitleidhascherei der Täter, die oft bis in die letzte Zelle der Herkunftsfamilie reicht.

Von Pop-Psychologie und verallgemeinernden Worthülsen („XYZ ist toxisch“) ist dieses Buch so weit entfernt wie unsere Gesellschaft von einer gewaltfreien Erziehung für alle. Deshalb sind Dolans Worte genau das, was im Diskurs rund um den vermeintlich „bösen“ Kontaktabbruch gefehlt hat.

10/10 would recommend.

The Power of Parting – Finding Peace and Freedom Through Family Estrangement By Eamon Dolan, Random House 

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