Leute! Es ist Frühling und das heißt? Liebe liegt in der Luft. Die Sonne scheint, die Temperaturen steigen – und die Libido gleich mit. Wobei, stopp, stopp, stopp. Sex und Spaß ist etwas für Menschen (Männer), die keine Verantwortung übernehmen und sich noch die Hörner abstoßen müssen. Das sagen mir zumindest alle Dating-Formate, die aktuell so laufen. Wer bei drei noch nicht verheiratet ist, sollte sich wirklich mal überlegen, was eigentlich schief läuft in seinem*ihrem Leben. 

Zurück in die 50er: Verliebt, Verlobt, Verheiratet!

Ja, richtig gelesen. Heiraten ist anscheinend wieder zum wichtigsten Ziel in unser aller Leben geworden. Das sagen zumindest alle Liebes- und Datingshows, die derzeit auf beliebigen Streaming-Diensten und im Fernsehen laufen. Um nur drei zu nennen: 5 Senses for Love, Love is Blind (inklusive der Brazil und Japan Ableger) und The Ultimatum.

Jetzt sagen die einen vielleicht: “Hä, wo ist das Problem? War doch schon immer so?” Und ja, zugegeben: Bachelor und Co. sind seit jeher auf dem Prinzip aufgebaut, SEELENVERWANDTE zu finden und für immer mit dieser Person glücklich zu werden. Aber das Storytelling spitzt sich gerade in den beiden letzten Jahren radikal (konservativ) zu. Ganz nach dem Motto: Es ist erst Liebe, wenn es amtlich ist! Im deutschen Programm seit Jahren ganz vorne dabei: „Liebe auf den ersten Blick“ (Spoiler: keines der Paare aus der letzten Staffel ist noch zusammen, geschweige denn verheiratet..)

Doch warum schaue ich das eigentlich? 

Ich muss schon zugeben, dass das Ganze mit persönlichem Abstand und ironischem Blick wirklich unterhaltsam ist. Ihr wisst schon: Das Gefühl, über den Dingen zu stehen, ein wenig zu lästern und zu lachen, wird definitiv befriedigt.

Man freut sich insgeheim, jetzt nicht gleich mit Shanye vor dem Traualtar zu stehen und “Nein” sagen zu müssen, weil er sich wie ein cholerisches Kleinkind verhalten hat. Da sieht das eigene Liebesleben gleich gar nicht so schlecht aus!

Gleichzeitig finde ich es bemerkenswert und immer problematischer, dass sich das Narrativ dieser Formate weiterhin stärker aufs Heiraten fokussiert. Es reicht nicht aus, am Ende einer Produktion mit jemanden eine Beziehung einzugehen – die Ehe kommt an erster Stelle. Und das nicht in 5 Jahren, sondern SOFORT. Während früher bei MTV Next am Ende eines Dates vielleicht ein Knutscher drin war, müssen jetzt Ringe besorgt und Hochzeitstorten bestellt werden, bevor man weiß, wie die andere Person mit zweitem Vornamen heißt.

Da kommen einem die mittleren 00er-Jahre im Vergleich zu heute fast schon progressiv vor. Heiraten wollten damals nur Spießer und Leute, die seit der Abiklasse zusammen waren.

Hinzukommt, dass die Bilder, die wir sehen, nicht gerade diverser, sondern immer strenger und heteronormativer werden. Feminismus? Scheint es in den Welten dieser Reality-TV-Shows nicht zu geben. Ja, wir haben Prince und Princess Charming. Wobei ich hier das Gefühl nicht loswerde, die Produktionen laufen immer noch unter dem Framing „Guckt mal, wir (RTL) wagen es und zeigen homosexuelle Menschen!“ Wow. Die betreffenden Communities bewerteten die Shows übrigens unterschiedlich.

Auch die Ästhetik der TV-Formate ist eher bieder, als hippie-esk. Sterile Pods und anonyme Roof-Top-Bars unterstreichen das Gefühl des emotionalen Verlorenseins, das in bunten Lettern auf der Stirn aller Beteiligten leuchtet.

Anders, als in der brandneuen US-Sendung „The Ultimatum: Marry or move on!“.  Diese Sendung schießt den Vogel ab.

Familienmitglied: „Warum hast du Rendall ein Ultimatum gestellt?“

Sie: „Ich hatte den Eindruck, dass Rendall mir keine Priorität mehr einräumt. Also dachte ich, dass er mir durch einen Heiratsantrag am besten zeigen kann, was er für mich empfindet. Doch das wollte er nicht tun.“ 

Familienmitglied: „Es wirft kein gutes Licht auf ihn, als Mann, wenn er nicht sehen kann, was direkt vor ihm ist.“

 (The Ultimatum: Marry or Move on, Flg. 4, ab Minute 20.)

Sechs Paare stellen sich darin einem Ultimatum: Heiraten oder Schluss machen? Um das herauszufinden, trennen sie sich für kurze Zeit und testen das Zusammenleben mit einem der anderen Partner*innen. Klingt absurd? Ist es auch. Nicht nur, weil die Hälfte aller Protagonist*innen 23 oder 24 Jahre alt sind. Am Tag des wilden Partner*innentauschs, kommt es zu einem Eklat zwischen Nate und seiner Freundin Lauren:

Nate: Warum ich das Ultimatum gestellt habe? Es gibt nicht viel, was mir an Lauren gefehlt hat. Es gibt nur eine Sache, die uns davon abhält, den nächsten Schritt zu machen. Aber von der hängt nun mal alles ab. Kinder kriegen und eine Familie gründen, das ist meine Priorität. 

(The Ultimatum: Marry or Move on, Flg. 3)

Seine Freundin Lauren möchte nämlich: keine Kinder kriegen. Eine Entscheidung, die Ehepaare durchaus vor Herausforderungen stellt und später vor Gericht zu unüberbrückbaren Differenzen führen kann. Deswegen hat Nate ihr auch das Ultimatum gestellt. Als nun bekannt wird, mit wem Lauren für drei Wochen zusammenziehen soll, bekommt Nate Panik. Er entscheidet sich dann doch dazu, seiner Lauren an Ort und Stelle einen Antrag zu machen:

Nate: Ich habe erkannt, dass ich ohne dich keine Familie habe. Ich will den Rest meines Lebens mit dir verbringen. Ich kann mir keine andere Frau vorstellen, mit der ich zusammenleben möchte. Willst du mich heiraten?

Und Lauren, die ja nach wie vor keine Kinder will, sagt: Ja! In Anbetracht der Bedrohung dieses Experiments, ist es für Nate also plötzlich kein Problem mehr, keine Kinder zu bekommen. WTF?! Toxische Beziehungskultur zum Anfassen.

Diese Show vereint einfach alles, was konservative, heteronormative und patriarchale Beziehungen so ausmachen – und stellt die Ultimatum-Pistole an der Brust als eine “völlig normale” Beweisprobe für die eigene Liebe dar.

Hier nochmal eine Übersicht, für alle die nicht wissen, wovon ich spreche:

  • Menschen kommunizieren  ihre Bedürfnisse nicht – denn es ist doch klar, was richtig oder falsch ist?!
  • Wir müssen nur unseren EINEN Seelenverwandten finden und heiraten – dann werden wir glücklich.
  • Vertrauen ja, Kontrolle ist besser.
  • Wenn mein person of interest sich für jemand anderen interessiert, kann ich nicht DIE EINE sein (und muss ein Ultimatum stellen).
  • Freund*innenschaften, Me-time? Meine romantische Beziehung hat Priorität, immer.
  • Es ist vollkommen richtig und normal, besitzergreifend zu sein.
  • Die Ehe ist DIE Institution, der ultimative Vertrauens- und Liebesbeweis.
  • Geschlechterklischees vereinfachen unsere Leben: Männer sind stark, Frauen emotional.

Wie kritisch müssen wir die Shows nun bewerten?

Die Forschung zum Thema ist dünn. Die Frage, inwieweit die Rezeption von solchen Formaten problematisch sein könnte, ist demnach schwierig zu beantworten. Die Medienpädagogin Marianne Hamm sieht in dem Storytelling eher eine Chance zur Diskussion von Werten und Rollen. Dabei beruft sie sich auf die Annahme, dass „Medien nie nur eine Message [haben], sie sind polysem, d.h. vielschichtig und vielseitig deutbar. Wie sie interpretiert werden und aus welchen Gründen sie geschaut werden, hängt u.a. auch mit der eigenen gesellschaftlichen Position ab.“ Und da würde ich ihr durchaus zustimmen.

Die Formate bieten eine Möglichkeit, sich abzugrenzen und mit der eigenen Identität auseinanderzusetzen. Aber besteht diese Chance für alle Zuschauer*innen? Die wenigstens werden die Möglichkeit haben, solche Shows im Kontext von medienpädagogischen Angeboten zu reflektieren. Ganz abgesehen davon, dass die Rezeption zumeist Zuhause, im privaten Raum stattfindet.

Die sexistische Sprache, die provokanten Bilder und das konservative Framing wird weiterhin reproduziert und landet – ohne jegliche kritische Einordnung – auf unseren Bildschirmen.

Shake: Maybe if we started having sex, maybe those feelings of always wanting to be, you know, in each other’s arms would form. (Love is blind, Flg. 3)

(Um die große Liebe doch noch zu entfachen, versucht Shake es kurzerhand mit einem gemeinsamen Massage-Date. Vielleicht kriegt er seine Verlobte Deepti ja doch noch rum, kurz vorm geplanten Hochzeitsfinale?!)

Plus: Reality-TV ist ein sehr erfolgreiches Social Media Business. Wer möchte, kann sich die Ups and Downs der Liebespärchen dann auch noch auf Instagram reinziehen. Full Circle? Check.

Vielleicht liegt das Problem auch im Genre selbst? Reality-TV funktioniert nun einmal über Skandale, Voyeurismus und dem Zurschaustellen von verrückten Persönlichkeiten. Aber würde dann nicht auch ein Format funktionieren, was sich mit dem Zusammenleben verschiedener polyamor-lebender Menschen beschäftigt? Ich kann mir die Promiflash-Headlines schon sehr gut vorstellen: „5 Frauen und ein Mann: wie hält er den Zickenkrieg aus?!“.

Letztlich muss man sich fragen, warum die breite Masse an TV-Konsument*innen immer und immer wieder die gleiche Leier bevorzugt: die der romantisierten, überbewerteten, heterosexuellen Langzeitbeziehung.

Eine Antwort könnte hinter dem von Elizabeth Brake geprägten Begriff der Amatonormativität liegen. Dahinter steckt die Überzeugung, dass jeder in einer exklusiven, romantischen, langfristigen Paarbeziehung besser aufgehoben ist.

Na denn: Frohes Fest!

Up-Date 2022: groschenphilosophin ist mittlerweile ein Medien-Magazin. Und zwar das erste deutschsprachige, medienwissenschaftliche Pop-Magazin, das ausschließlich von Frauen unter 35 geschrieben und gedacht wird. Dir hat dieser Beitrag gefallen? Dann supporte uns auf Steady.

Lea Schäfer
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Lea ist Gründerin von im Kontext und begeisterte Medienwissenschaftlerin! Ihre Vision: Mehr Menschen mit Medienbildung erreichen und verständlich erklären, wie Medien funktionieren und wie sie positiv genutzt werden können. Ihre Motivation: die Stärkung einer freien und demokratischen Gesellschaft. Denn Social Media und Digitalkonzerne werden auch in Zukunft, das Leben von Menschen weltweit bestimmen und darüber entscheiden, wie wir leben. Mit im Kontext reflektiert sie diese Entwicklungen und versucht den digitalen Wahnsinn begreifbar zu machen. Als Social Media Managerin arbeitet sie außerdem für das internationale Zentrum über NS-Verfolgung und der Frage, wie Erinnerungskultur digital erlebbar gemacht werden kann. Und wenn sie nicht gerade bahnbrechende Texte schreibt oder hübsche Grafiken baut, legt sie das Handy sehr gerne weg und geht in der „echten“ Welt mit ihrem Hund spazieren.