Dieses Non-Fiction-Manuskript (Arbeitstitel: THX BYE) ist im Frühjahr 2025 in meiner Artist Residency auf Sizilien entstanden. Da ich mich in der Zwischenzeit entschieden habe, künftig ausschließlich der Arbeit an fiktionalen Buchprojekten nachzugehen, dachte ich mir: Warum lade ich diese spritzigen 30 Seiten nicht hier auf meinem Blog hoch?

Dann hat vielleicht noch jemand etwas davon! Es geht um: „verschwendete Jahre“, Angst vor dem Schlussstrich und Selbstbetrug, die Romantisierung von männlicher Mittelmäßigkeit und wie wir kollektive, weibliche Delusionen mit positiven Erzählungen überwinden können. 

* * *

Erst vorgestern war ich mit einer Gruppe Catanern bei einem Abendessen in der zweitgrößten Stadt Siziliens. Der Host hatte mich eingeladen, mitzukommen und ich wollte mir die Chance nicht entgehen lassen, etwas vom „richtigen“ Catania mitzubekommen, bevor ich wieder abreisen würde.

Ich genoss den Blick auf die Fassaden der alten Häuser, während ich auf mein Risotto mit Zucchini-Creme und Tuma wartete. Alle waren extrem freundlich zu mir, inkludierten mich ab der ersten Sekunde und fragten mich, warum ich ausgerechnet hier gelandet sei. Ich erzählte von meinen Büchern, deren Anfangsversionen witzigerweise gerne in Italien entstanden, woraufhin ich dezent darauf hingewiesen wurde, dass ich hier nicht in Italien, sondern in Sizilien sei. Touché!

Mir gegenüber saß ein Pärchen, das einen ordentlichen Altersunterschied hatte – aber das war hier nichts Außergewöhnliches. Auf seinem Kopf machte sich bereits kreisrunder Haarausfall bemerkbar, sein Gesicht war ledrig, so, als ob er die letzten Jahre zu viel Zeit in der Sonne verbracht hätte. Er rauchte ununterbrochen selbstgedrehte Zigaretten. Seine Freundin war eine wunderschöne, klassisch gekleidete Sizilianerin, mit einer geraden, kleinen Nase und langen, haselnussbraunen, leicht gewellten Haaren. Sie trug ihre helle Jeansjacke über den Schultern und sah aus, als komme sie aus gehobenem Hause. Dafür musste ich gar keinen Blick auf ihre beige Ledertasche werfen.

Nachdem ich auf seine Nachfrage hin schließlich offenbarte, dass ich Autorin war, erwähnte er seine Faszination für die deutsche Sprache, insbesondere Lyrik.

Da war er bei mir an der falschen Stelle, lachte ich.

Er fragte mich, wie alt ich sei. „Oh, really?“, sagte er. „I am 36, but you look much younger.” Ich ignorierte den Kommentar und fragte ihn, was er arbeitete, während seine Freundin nur gelangweilt daneben saß und nicht wirklich ins Gespräch einstieg. Ich wusste nicht, ob es an der Sprachbarriere lag, oder daran, dass er derjenige war, der hier die Gespräche mit fremden Frauen führte. Ich wollte natürlich auch wissen, was sie studiert hatte, und was sie arbeitete, also richtete ich meine Fragen jetzt direkt an die junge Frau.

Ihr Englisch war ein wenig schlechter, als das ihres Partners, aber ich wusste nun immerhin, dass sie studierte Geologin war. Ich war gerade dabei, sie nach ihrem Alltag auszufragen, und was man als Geologin in Sizilien so macht, als er uns unterbrach und sagte: „Yeah she’s a geologist, but it doesn’t matter, right? She’s so beautiful!“ Danach drückte er ihr einen Kuss auf die Wange, den sie nicht erwiderte. Ich hätte gerne gewusst, was sie in diesem Moment dachte.

Eine Stunde später – wir hatten inzwischen ein richtiges Gespräch ohne ihren Typ angefangen – führte sie mich durch die Stadt und zeigte mir stolz das Handarbeitsgeschäft ihres Großvaters, direkt im Zentrum. Auf dem Rückweg zum Restaurant erzählte sie mir, dass sie gerade 26 geworden war, und obwohl ich ihr jüngeres Alter bereits vermutet hatte, war die final ausgesprochene Zahl trotzdem überraschend niedrig.

Als wir uns wieder an den Tisch setzten, stand ein Likör vor dem halbglatzigen 36-Jährigen. Ich saß neben ihm, weil kein anderer Platz mehr frei war, und er nahm das Gespräch wieder auf. Aus dem Nichts sagte er mir, dass er sich innerlich wie 18 fühlte, und den Altersunterschied deshalb gar nicht so bewusst wahrnahm. Ja, in Wahrheit war sie die Weisere von den beiden, und ich glaubte ihm sofort. Er erzählte, dass sie ein Jahr zusammen waren, und er wirklich schlecht in Beziehungen sei.

„I always break the relationship, I am no good at it.” Auch das glaubte ich ihm sofort. Er merkte, dass mir sein Oversharing unangenehm war, und fragte, ob alles okay sei.

„Jaja“, log ich. „I just hope you are doing better this time!“
“I am. It’s the best relationship I’ve had so far.”

Ich hoffte, dass die 26-jährige Sizilianerin bald aufwachen und das sehen würde, was ich bereits sehen konnte. Und ihn daraufhin verlassen würde.

* * *

Als ich 2024 eine Umfrage unter meinen Instagram-Followern machte, gaben 39 Prozent an, noch nie in einer gesunden Beziehung gewesen zu sein. Und das waren die 39 Prozent, die merkten, dass in ihren vergangenen Beziehungen etwas nicht stimmte.

Ich bin der festen Überzeugung, dass viele Menschen gar nicht wissen, dass sie in einer Beziehung stecken, die zu einem gewissen Grad toxische Dynamiken aufweist. Weil sie nie etwas anderes erlebt oder vorgelebt bekommen haben, weil sie sich nicht eingestehen wollen, mit jemandem zusammen zu sein, der sie schlecht behandelt, weil sie glauben, es sei eben normal, sich oft zu streiten, abends weinend einzuschlafen, auf Entschuldigungen oder veränderte Verhaltensweisen zu warten oder sich jeden Tag mit seinen Freundinnen über seinen Partner auszulassen.

Bevor ich meinen heutigen Partner kennenlernte, war ich in Punkto Männer bereits anständig desillusioniert worden. Ich war 32, und stellte fest, dass ich in meinen Zwanzigern keine einzige wirklich gesunde Beziehung erleben durfte. Gesund nach meiner heutigen Definition, sei dazu gesagt.

Männer objektifizierten mich, Männer idealisierten mich, Männer führten mich als Trophäe vor, wenn sie selbst keine eigenen Talente vorzuweisen hatten. Sie unterbrachen mich, unterschätzten mich, schrieben ganze Passagen von meinen Seminararbeiten ab und gaben diese als ihre eigenen aus, sie antworteten mir ohne Vorwarnung fünf Tage nicht zurück und drehten ihr Handy ab, um mich zu bestrafen.

Sie schränkten mich ein und waren eifersüchtig auf die wenigen männlichen Freunde, die ich noch hatte. Sie sagten das eine und taten das andere, sie logen mir ins Gesicht und gafften in den Ausschnitt meiner Freundin. Sie waren unzuverlässig, kindisch, gemein und absolut beziehungsunfähig.
So, wie ich es mit großer Sicherheit auch war.

Erst mit Anfang 30 bekam ich eine Vorstellung davon, was in einer gesunden Beziehung möglich war, indem ich nach jahrelanger Arbeit an mir selbst plötzlich anfing, emotional verfügbare Männer zu treffen. Diese Entwicklung war schön, und ganz sicher kein Zufall.

Alles, was ich jetzt tun musste, war, mein Leben als alleine wohnende Künstlerin in Berlin zu genießen. Und abzuwarten. Ich war sicher, dass es zumindest einen guten Partner in einer Stadt mit über 4 Millionen Menschen für mich gab.

Immerhin, dachte ich, war ich nicht in einer schlechten Beziehung. Ich fühlte mich als „Single“ (was auch immer das genau sein soll, aber dazu gerne ein ander mal) nicht minderwertig oder verbraucht, aber ich spürte dennoch den Wunsch nach einer gewissen romantisch-gefärbten Konstante in meinem Leben. Ich war gerne alleine, aber noch lieber war es mir, wenn ich mein Alleinsein durch Zeit mit einem lieben Menschen unterbrechen konnte, der wirklich zu mir passt.

Bevor ich meinen heutigen Partner kennenlernte konnte, musste ich überhaupt erst an den Punkt kommen, mit 32 alleine zu sein. Und daher: Kündigen. Oder genauer gesagt: Beziehungen beenden, die sich für mich nicht mehr richtig anfühlten.

Und damit? Hatte ich lange Zeit durchaus Probleme.

Problem #1: Sunken-Cost-Theory: Aber was machen mit all den Jahren?

Ich habe einen Termin zum Haareschneiden bei einem neuen Friseur in Kreuzberg. Friseurtermine sind immer so eine Sache. Entweder ich fühle mich in der Anwesenheit der Person, die gleich meinen Kopf anfassen wird, halbwegs wohl – oder, ich fühle mich die ganze Zeit über leicht angespannt, und kann gar nicht sofort sagen, warum.

Als ich den neuen Friseur in Persona treffe, bin ich erstmal kurz beruhigt. Er hat einen ganz eigenen Vibe – selbstbewusst, freundlich, aber nicht anbiedernd. Mein Bauchgefühl ist neutral, ich kann mich auf den Prozess einlassen. Wir besprechen meine Wünsche (er findet sie gut), quatschen ein bisschen über die Geschichte des Ladens und gehen schließlich rüber zum Waschbecken. Nach dem Haarewaschen nehme ich wieder auf meinem Stuhl Platz.

Wir sind inzwischen beim Thema Beziehung angekommen, und ich erzähle euphorisch, dass wir gerade dabei sind, uns eine…

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