Ich weiß, ich weiß. Der Journalismus, und überhaupt die ganze Publishing-Industry ist manchmal ein ziemliches Arschloch. Eher öfters, als manchmal. Da werden Ideen von freien Autor:innen angefragt, mit einer saloppen Mail abgelehnt – und dann selbst in der Redaktion umgesetzt. Da wird abgekupfert, abgeschrieben und geklaut, was das Zeug hält.

Aber Moment mal. Ist der Vorwurf des „Klauens“ überhaupt gerechtfertigt?

Ein Beispiel.

Ich habe im Sommer 2020 auf meinem Instagram-Account über Thin-Privilege geschrieben. Zwei Wochen später veröffentlichte Autorin X, die mir OBVIOUSLY folgt, einen Artikel mit beinahe 1:1 denselben Gedanken, meinen verlinkten Quellen und der Headline „Wir müssen über Thin Privilege sprechen“ in Jugendmedium XY. Ich dachte nur so: „Honestly? Dein scheiß Ernst, dass du mir heimlich folgst, meine Posts ansiehst, nicht likest, und dann zum nächstbesten Medium gehst, um sie dort zu verkaufen?“

Ich war wütend, denn das Ganze war mir nicht zum ersten Mal passiert. Ständig werden auf Instagram Ideen generiert – natürlich nicht nur von mir – und dann von ideenhungrigen Content-Hoes (wie ich sie selbst einmal war) umgesetzt.

Doch wie kann das eigentlich erlaubt sein? Ist es nicht offensichtlich, dass sich da jemand hat „inspirieren“ lassen? Ja, ist es. Aber es ist auch: rechtlich erlaubt. Denn Ideen sind nicht urheberrechtlich schutzfähig.

Stellt euch vor, das Stilmittel des szenischen Einstiegs wäre geschützt – wer dürfte dann noch Reportagen schreiben? Wie würde unsere Podcast-Landschaft aussehen, wenn die Idee eines feministischen Podcasts urheberrechtlich geschützt wäre?

 „Gedanken und Lehren müssen in ihrem Kerngehalt der freien geistigen Auseinandersetzung zugänglich sein.” (Vgl. dazu § 69a II 2 UrhG oder Art. 9 II TRIPS)

So heißt das auf juristisch.

Wenn ich also zB. auf Instagram schreibe, dass ich es problematisch finde, wenn Größe-40-Frauen mit ihren Speckröllchen einen auf dick machen – dann handelt es sich dabei zwar um eine Meinungsäußerung, und vielleicht auch um eine mit einer Studie untermauerte Information.

Ich habe jedoch keinen Einfluss darauf, wer mit dieser banalen, alltäglichen Gedankenäußerung was macht. Ob sie weitergetragen, kommentiert oder komplett neu paraphrasiert und irgendwo gegen Geld veröffentlicht wird.

Einfacher Check, um zu schauen, ob die eigene Aussage banal ist: Google.

26 Millionen Ergebnisse!!!1111

Schade, aber gleichzeitig gut für die Debatte.

Okay. Also kann jeder auf Instagram einfach alles von mir abschauen und zu einem Artikel verwandeln? Ganz so einfach ist es auch wieder nicht (sonst wär’s nicht Jura, LOL).

Nur weil Ideen und Gedanken nicht geschützt sind, heißt das nicht, dass einzelne Formulierungen nicht geschützt sein können. Sie müssen allerdings eine gewisse Gestaltungshöhe erreichen und Ausdruck der Persönlichkeit der Urheberin sein. Sie müssen über das Banale, Triviale hinausgehen und sich von dem abgrenzen, was jeder kann. (Worunter mMn Journalismus fällt, aber let’s not go there)

„Ich finde, dass Frauen viel zu viele Herausforderungen stemmen müssen!“ – wäre also: banal. Und damit nicht urheberrechtlich geschützt.

Doch wie sieht es mit folgendem Zitat aus?

„Die außergewöhnliche Frau ist von der gewöhnlichen Frau abhängig.“

Die Formulierung ist eine menschlich-gestalterische Tätigkeit, zudem Äußerung eines gedanklichen Inhalts mit Wirkung auf die Betrachter und es gibt eine wahrnehmbare Form der Idee. Damit wären die allgemeinen Schutzvorarussetzungen erfüllt.

Was denkst du: Ist hier Virginia Woolfs persönliche, geistige Schöpfung zu erkennen?

Für eine aktuelle Rechtsprechung kann das Zitat leider nicht mehr herhalten, denn Virginia Woolf ist seit mehr als 70 Jahren tot. Ihr Urheberrecht ist damit erloschen.

Zum Schluss möchte ich die Schutzfähigkeit von Formulierungen deshalb an einem realen Beispiel aufhängen, das heiß debattiert wurde. Es geht um folgenden Tweet.

 „Wann genau ist aus ‚Sex, Drugs & Rock n Roll“ eigentlich ‚Laktoseintoleranz, Veganismus und & Helene Fischer‘ geworden?“ (Urteil: LG Bielefeld, ZUM-RD 2017, 657)

Na? Schutzfähig, oder doch nicht? Wenn du davon überzeugt bist, dass deine Äußerungen urheberrechtlich schutzfähig sind, musst du das auch vor Gericht begründen und beweisen.

In diesem Fall hat das LG Bielefeld übrigens entschieden, dass der Tweet nicht urheberrechtlich geschützt ist.

Krass. Oder vielleicht einfach doch nur … fair?

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