Es ist 23:48, ich sitze mit meinem Vater in der Küche und arbeite. Der zweite beziehungsweise offiziell erste Monat meiner Freiberuflichkeit hat begonnen und ich habe das Bedürfnis, ein wenig auszuholen und über die kleinen und großen Freuden und Negativa zu sprechen, die den September ausgemacht haben.

Zu aller Erst: das alles, es ist verdammt schnell gegangen. Ich habe das Gefühl, als ob mein Leben wie ein Schnellzug von Berlin nach Hamburg an mir vorbeiziehen würde. Heute vor einem Jahr habe ich noch in Hamburg gelebt und festangestellt bei Spiegel Online gearbeitet, und jetzt – elf Monate später – habe ich drei feste Auftraggeber und einen Buchvertrag. Ich mache das öffentlich, weil ich nicht so tun möchte, als ob die Freiberuflichkeit „einfach so“ möglich wäre, einfach so kommen würde, nur weil man einen Studienabschluss in „irgendwas mit Medien“ hat. Sie erfordert scheißviel Arbeit, Durchhaltevermögen und Toleranz. Mit sich selbst und den eigenen Grenzen.

Die, die mich und meinen Weg schon länger kennen, mögen sich an dieser Stelle gelangweilt in die Haare fahren. Die pathetische Fallhöhe gehört zum Jetzt-Zustand und der neuen Selbstständigkeit irgendwie dazu.

Die Hochs: Ausschlafen, Ausgehen, Ausprobieren

Fangen wir mit dem Positiven an. Ich habe im September ziemlich viel ausgeschlafen, geknutscht und gefeiert. Und ich habe meine Beziehungen gepflegt wie mein Vater seinen Rasen: gründlich. Wow, wie ich die Klischees zementiere! Für jemanden, der das Haus nicht gerne vor 10 Uhr verlässt, ein wahres Privileg. Gleichzeitig fühle ich mich so, als ob ich mich dafür rechtfertigen müsste, dass ich lieber nachmittags bis abends und manchmal auch gegen Mitternacht arbeite, weil es nicht der Norm entspricht und schnell als „Lari Fari“-Lifestyle abgestempelt wird.

Dabei liegt der Erfolg meiner Freiberuflichkeit (darunter verstehe ich, dass ich irgendwie davon leben kann) vor allem darin, dass ich bei jedem Text, und jedem Interview und jeder Kolumne genauso gewissenhaft vorgehe wie das Mal zuvor und mich nicht von dem blenden lasse, was ich erreicht habe. Ich liefere ab, Monat für Monat und halte mich akribisch an Deadlines. Die ersten 22 Seiten meines Buches liegen bereits zur Korrektur bei Rowohlt.

Ich weiß: Ich bin noch lange nicht etabliert, ich habe es noch lange nicht geschafft. Und doch merke ich, dass sich eine gewisse Routine in mein Handwerk geschlichen hat. Arbeitsstunden sagen wenig über das Ergebnis aus. Meist sind drei bis fünf Stunden Schreibarbeit für mich mehr als genug. Alles darüber endet in Bullshit.

Die Tiefs: Krankenkasse, Geld im Generellen und meine Vorliebe für nicht vorhandene Routinen

Die erste Abrechnung der Krankenkasse hat mich getroffen wie ein Tritt in die Magengrube. Sagen wir es so: der Betrag ist aktuell noch so hoch angesetzt, dass ich dafür anderthalb bis zwei Artikel schreiben muss, um ihn wieder hineinzubekommen. Ich habe natürlich sofort einen Antrag auf Heruntersetzung geschrieben. Was bin ich nicht für eine Geschäftsfrau! Mit großer Wahrscheinlichkeit geht er auch durch. Sonst fühlt es sich an, als ob man nur dafür arbeiten würde, seine Fixkosten zu decken. Irgendwie ekelhaft.

Klar, das hat man schon alles früher gehört über die Selbstständigkeit. Man arbeitet immer, ist für alles selbst verantwortlich und hat am Ende nicht mal ein Plus am Konto. Ich muss sagen: ja, so ungefähr ist es auch. Und trotzdem will ich es nicht anders, auch wenn ich nach diesem Krankenkassenbrief erstmal den ganzen Tag über in meinem Bett geschmollt habe und nicht in der Lage war, weiterzumachen als ob nichts wäre, als ob das alles „leicht“ werden würde und unbeschwert die nächsten Jahre. Frei von Existenzsorgen ist man als Selbstständige wohl nie – Bürokratie kann einem ganz schön den Tag versauen.

Immerhin muss ich kein Gewerbe anmelden, da ich immer noch Kleinunternehmerin bin und keine Angestellten habe. Was nicht heißt, dass ich nicht schon über eine Praktikantenstelle nachgedacht habe (Freiwillige vor). Mein kompletter Montag geht inzwischen für Mails und Anfragen drauf, was schön ist, weil es bedeutet, dass ich genug zu tun habe.

Gleichzeitig fehlt mir dadurch die Zeit für Recherchen und neue Ideen. Es ist einfach nie genug Zeit für alles da. Vor allem nicht, wenn man in der Regel bis elf Uhr pennt. (Ja ich sehe, dass das langsam zum Problem wird. Anfängerin…) Ich möchte mich gerne weiterbilden und ein paar Kurse in Musik und Kunstgeschichte an der HU belegen, just for fun. Ich würde eigentlich auch gerne eine Band haben und Klavier spielen. Aber das ist utopisch. Irgendwann wird das vielleicht drin sein, aktuell konzentriere ich mich einfach auf das, was mir möglich gemacht wurde und bin, so oft es geht, dankbar für die Option meine Gedanken ins Internet zu schreiben und dort auf eine Leserschaft zu treffen, die sich auch dafür interessiert. Meine Schreibe existiert aufgrund meines (so gut es sich einrichten lässt aufregenden) Lebens.

Wo wir letztlich doch wieder bei etwas Positivem wären: euch. Die Menschen, die meine Texte lesen und mir PNs schreiben und mir das Gefühl vermitteln, dass ich sie anspreche – nicht nur mit den Themen, sondern auch mit meiner Offenheit. Überhaupt habe ich in den letzten Monaten viel Scheu abgelegt und auch mehr Privates preisgegeben als noch vor ein paar Jahren denkbar gewesen wäre. Weil ich mich sicher fühle, auf eine neue Art und Weise. Bestes Beispiel: Sophias und mein neues Baby #ManicSunday. Obwohl ich vor allem auf Instagram viel erzähle, habe ich nie das Gefühl, dass es zu viel wäre. Dass dort etwas steht, was ich nicht auch abgedruckt über mich lesen könnte (wenn ich dabei die Hände über dem Kopf zusammenschlagen darf). Viel hängt damit zusammen, dass ich im letzten Jahr ordentlich an Selbstwert und Sicherheit dazugewonnen habe. Aber das wäre ein ganz eigener Artikel.

Der (nicht vorhandene) Alltag

Wie mein Alltag aussieht, ist schwer zu sagen. Es gibt keinen. Ich bin am Freitag nach Wien geflogen, habe am Samstag fünf Stunden in meinem alten Kinderzimmer gearbeitet und war abends auf dem Waves mit einer Freundin, bevor ich am Sonntag in Bratislava bei meiner Babka im Garten stand und ihr beim Feigen- und Weinernten geholfen habe. Ist es Urlaub? Ist es Freizeit? Wann beginnt meine Arbeitszeit? Montag und Dienstag war ich dann wie sonst auch in einem Café.

Meine Existenz, sie ist fließend. Ich kann nicht einmal sagen, wie viele Stunden pro Woche ich arbeite. Ist es notwendig? Byung-Chul Han schreibt in Agonie des Eros: „Als Unternehmer seiner selbst ist das Leistungsobjekt zwar insofern frei, als es keinen gebietenden und ausbeutendem Anderen unterworfen ist, aber wirklich frei ist es nicht, denn es beutet nun sich selbst aus, und zwar aus freien Stücken. Der Ausbeutende ist der Ausgebeutete. Man ist Täter und Opfer zugleich.“ Ja und nein. Natürlich beute ich mich ein Stück weit aus, irgendwoher muss das Geld ja kommen – gleichzeitig frage ich mich, was ich sonst den ganzen Tag machen sollte, wenn es nicht lesen und schreiben wäre. Sport? You must be kidding me.

Das hier, es ist nunmal mein Job, aber – und hier kommt der entscheidende Punkt – es wäre auch mein Hobby. Und es macht mir immer noch mehr Spaß als alles andere, was ich zuvor ausprobiert habe (Fitnesscenter, Sekretariat, PR). Diese Woche habe ich zum Beispiel den neuen WhatsApp-Podcast gestartet, einen talentierten Fotografen interviewt und eine junge Journalistin kennengelernt, die mich für das BIBER Magazin interviewen sollte. Dass ich wissbegierig und ehrgeizig bin, trägt natürlich auch dazu bei, dass ich viel publiziere und schreibe und nachdenke und lese. Hauptsächlich Prosa übrigens, inzwischen. Sollte ich das, was ich erlebe, besser in ein Tagebuch schreiben? Wäre das automatisch keine Selbstausbeutung, weil ich es von ökonomischen Faktoren unabhängig ausführen würde? Ich weiß es nicht.

Han schreibt weiter: „Die Selbstausbeutung ist viel effizienter als die Fremdausbeutung, weil sie mit dem Gefühl der Freiheit einhergeht.“ Klar ist meine eigene Selbstausbeutung effizienter. Denn wenn ich fertig bin, habe ich frei – und muss nicht noch weitere vier Stunden im Büro ausharren.

Noch bleibe ich dabei, dass die Freiberuflichkeit eine gute Idee war, eine unausweichliche Option im Kampf für ein selbstbestimmtes, freies Leben zwischen den Städten. Dass es dabei wenig Routine gibt und viel Raum für Selbstausbeutung – geschenkt.

Aber dass es keine Negativa geben würde, das habe ich nun wirklich nicht behauptet.

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