Rund um Silvester ist mir etwas bei den vielen Neujahrspostings auf Facebook aufgefallen. Wenn es sich nicht gerade um pointierte Essays über das Weltgeschehen handelte, fühlten sich sehr viele Menschen dazu verpflichtet, ihre persönlichen Errungenschaften des Jahres aufzulisten um damit digitalen Beifall zu erwirtschaften. Blogger, Journalisten, Marketing-Gurus, Selbstständige, Kreative.

So zum Beispiel: „Ich habe dieses Jahr mein Studium beendet, angefangen als Fotografin zu arbeiten und meine erste Ausstellung organisiert“ – oder so: „Ich arbeite jetzt bei einer supergeilen Firma – und bin dafür nach Stockholm gezogen. Jeden Tag freue ich mich darauf, Neues zu lernen.“ Sounds a little bit cheesy?

Meist waren es die beruflichen Erfolge (natürlich nicht die Rückschläge und Schmerzen), die mittels sozialer Netzwerke an die Follower oder Frenemies herangetragen wurden. Als Beweis der eigenen Fähigkeit, der vollzogenen Selbstverwirklichung 2016, dem bereits eingeleiteten Prozess der Besserung, Verbesserung. Denn was wäre schlimmer, als ein Jahr zu durchleben, in dem man nicht vorwärts kam, mit dem eigenen Denken und Schaffen und Tun?

Dass online oft nur so getan wird als ob, kann jeder mit Freunden bestätigen – und das nicht erst seit gestern. Wie oft passt das Bild, das sie von sich selbst zeigen nicht mit den Problemen zusammen, die gerade ihren Alltag bestimmen? Es ist natürlich in Ordnung, nicht von den negativen Erlebnissen zu berichten, schließlich geht es für viele – gerade jene im Online-Business – um ihren „guten Ruf“. Um das geteilte Selbst, das öffentliche. Und das gilt es in keinem Fall zu beschädigen. Die Differenz darf fortbestehen, zwischen dem Gefühlten und Gezeigten. Den Projekten, die man wirklich geliebt und den Chefs, die man gehasst hat.

Und trotzdem werde ich dieses ekelige Gefühl nicht los, dass wir uns als hochtechnologisierte Leistungsgesellschaft gerade gar nicht so weit weg von der Dystopie befinden, die in der Black-Mirror-Folge „Nosedive“ gezeigt wird. Hauptdarstellerin Lacie lebt in einer Welt, in der Freunde und Fremde die eigene Popularität unmittelbar mittels Sterne-Ratings bewerten können. Das Prozedere funktioniert via Smartphone, maximal können fünf Sterne erreicht werden. Sobald man sich umgedreht hat, sieht man die Anzahl, die man von seinem Gegenüber für sein Verhalten bekommen hat. Die Methode beeinflusst nicht nur zwischenmenschliche Kommunikation im Alltag, sondern auch die Vermittelbarkeit am Arbeitsmarkt und die Möglichkeit, schön zu wohnen.

Anders als ihr Bruder Ryan hat Lacie einen Score von 4,2, der sie zu einem Leben in permanenter Vorsicht verpflichtet. Freundlich lächeln, verfügbar sein, nicht zu viel verraten – all das könnte das Image zerstören.

Kurze Zwischenfrage: Wo genau ist jetzt nochmal der Unterschied zu heute?

Die Bewertung findet – zumindest menschlich betrachtet – aktuell noch im Kopf der Betrachter statt, nachdem man das auf Social Media Geteilte gescannt und eingeordnet hat. Der Status wird durch besondere Anlässe wie Jahreswechsel oder Geburtstage, die man ohne großen Aufwand mit pathetischen Worten zusammenfassen kann, vorwiegend von einem selbst geprägt.

Dass selbst kapitalismuskritische Menschen oder sogenannte Aussteiger das Konzept der Selbstvermarktung in Anspruch nehmen, ist angesichts der derzeitigen Entwicklung am Arbeitsmarkt verständlich. Bild a brand, zeige Gesicht, äußere dich zu Themen, die zu deinem Fachbereich passen.

Enttäuschend ist es irgendwo trotzdem. Weil man doch gerade von diesen Menschen mehr erwartet hätte, bezüglich der eigenen Normen und Werte. Erwartet hat, dass sie sich nicht von Shares und Likes und Followern und Retweets verrückt machen lassen. Dass sie ihre Kunst auch mal ohne der jederzeit verfügbaren Option der digitalen Rücksprache ausüben. Dass sie älter werden können, ohne dabei Checklisten abzuarbeiten. Heute sind sie genauso präsent wie Pietro Lombardi.

Posten und andere an Ideen teilhaben zu lassen ist zu einem Automatismus geworden, der zwar reflektiert und hinterfragt, aber nicht einfach so abgeschalten werden kann. Wer ist man denn noch, dann? Wenn man das Leben, das man führt, für sich behält. Nicht in der Minute der Anstellung seinen Arbeitgeber auf Facebook einstellt?

Noch hat das eigene Profil rational betrachtet keinen Einfluss darauf, wo wir mit wem wohnen werden. Aber wie sieht es mit Jobs aus? Social-Media-Stars und YouTuber verkörpern die Spitze des Möglichen – und wir alle sind von den Mechanismen, die zu ihrem Erfolg geführt haben, betroffen.

Selbst, wenn wir eigentlich keine Lust darauf haben. Oder das zumindest vorgeben. Die selbstbeweihräuchernden Postings sprechen ihre eigene Sprache und offenbaren Sehnsüchte, deren Ursprung wir nur erahnen können.

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