charmed_round1

Wie oft habe ich mir anhören dürfen, dass „das doch die beste Zeit meines Lebens“ sein würde, jetzt auf Auslandssemester. Oder, retrospektiv romantisiert, sich als die „beste Zeit des Lebens“ in den dunklen Ecken meines Temporalcortex einnisten würde. Parties (no), Halli-Galli (nope), menschliche Verbindungen, die die angespannte Oberflächlichkeit der ersten Konversationen sofort ausradieren und Beständigkeit haben (eventuell), auch abseits von stressbedingt ignorierten Whatsapp-Nachrichten und zu spät versendeten E-Mails.

Die Schule, das Studium, die ruhige Zeit mit dem Baby nach dem ersten Dammschnitt (ich empfehle das nicht zu googeln), die Weltreise fernab von allem, was menschelt, die Bildungskarenz, der Wiedereinstieg in den effizient gestrafften Beruf mit geringerem Gehalt oder die neugewonnene Selbstständigkeit nach der zweiten Scheidung. Alles brauchbare Optionen für den eigens konstruierten Erzählstrang eines ideal verlaufenen Lebens. Die nachträgliche Einordnung der Ereignisse zwischen „sehr gut“ und „nicht genügend“ geben dem Ganzen die verloren gegangene Struktur.

Erkennt man sie, die tolle Zeit, wenn man sie gerade ver-lebt? Oft weiß ich gar nicht so recht, ob ich gerade da bin. Ein Dasein pflege, mit allen Mitteln, die da so dazugehören. Bemerken tu ich „es“, wenn ich abends im Bett liege und schon wieder ein Tag vergangen ist, an dem ich nicht begonnen habe mit DuoLingo Französisch zu lernen. Dann ist plötzlich das nächste Jahr angebrochen und natürlich, man feiert die Geburtstage eh nach und merkt, dass sich vieles in die gewünschte Richtung entwickelt. Aber muss man zu einem bestimmten Zeitpunkt in binärer schwarz-weiß; richtig-falsch; gut-scheiße Manier behaupten, dass jetzt alles honigüberzogen wäre? Dass jeder Polsterüberzug sitzt, keine Wünsche offen sind, man das Leben vom Ausspucken des nächtlichen Schleims bis hin zum abendlichen Zehennägelschneiden „einfach nur genießt“? Wo ich schon von Genuss und Entspannung spreche: Althusser sagt, dass jede Erholungsphase und jeder Urlaub lediglich dazu dient, den Menschen danach wieder frisch und glatt rasiert in seine Ausbeutungsverhältnisse zu verabschieden.

Auch die Werbung schreit nicht leise, wenn es um die beste Zeit einer Frau geht, die bekanntlich mit zweiundzwanzig endet. „Kaufen Sie hier Produkt-Ihrer-Wahl für die beste Zeit Ihres Lebens!“ Schnell, bevor man sich endgültig muss lasern lassen, kleide dich noch ein letztes Mal elegant, frisiere deine von der Hitze des Glätteisens strapazierten Haare, male die Lippen an, bald ist es vorbei, dann verwelkst du schneller als ein auf dem Boden liegen gelassener Hochzeitsstrauß, bald bist du alt, nur noch ein paar Jahre, es geht stetig bergab, also nichts auslassen, beeile dich, sofern du noch männermarktfähig bist.

Letzten Sommer habe ich bei der körperlichen Selbstoptimierung einen Ted Talk über „die Zwanziger“ gehört, nach dem mir ein bisschen schlecht wurde. Der Frauenmagazin-Konsens lautet doch weiterhin, dass die Dreißiger mittlerweile die neuen Zwanziger wären, oder nicht? Hallo, man braucht nur Kate Hudson oder Eva Mendes ansehen, so straff, strahlend und jugendlich die aussehen!

„Why 30 is not the new 20“ lautet die unsympathische Ansprache von Meg Jay. Die klinische Psychologin hat sich auf “Twenty-Somethings” spezialisiert und spart nicht mit Kritik am Liebesleben ihrer ersten, damals 26-jährigen Klientin Alex. Alex schläft mit den falschen Männern, sie „dated-down“ (sprich: sie trifft sich mit einem Mann mit geringerem sozioökonomischen Status) und hat damit offensichtlich ein Problem: Selbst wenn sie den jetzigen Down-Dater (haha! ich erfinde das Wort jetzt einfach mal) nicht heiratet, wird es der nächste sein, mit dem sie die besten Jahre ihres Lebens verschwenden wird. Denn wir müssen aufpassen! Die Zwanziger dauern bekanntlich nicht ewig, danach endet unsere Adaptionsbereitschaft und wir treffen aus Angst vor dem Älterwerden die spontan schlechteste Entscheidung, indem wir „einen Loser“ heiraten.

Jay denkt gar nicht daran, den Fuß vom Druck-Pedal zu nehmen: Achtung Mädels, das fruchtbarste Alter hat eine Frau mit 28 erreicht, mit 35 geht es rapide bergab. Just sayin! Außerdem sind die Zwanziger die Zeit, in denen man an seiner Persönlichkeit, der Karriere und der künftigen Ehe (die wir alle selbstverständlich wollen) feilen muss, sonst wird das mit Mitte oder gar Ende Dreißig auch nichts mehr. Oder zumindest schwieriger, weil weniger Zeit bleibt zwei Kinder im Abstand von 1,5 Jahren in die Welt zu setzen. Hier die 3 Dinge, die jede in ihren Zwanzigern im Auge behalten sollte:

  • get some identity capital
    o do something that adds value to who you are
    o investment in who you might wanna be next
    o now is the time for the cross country job, internship ect.
  •  Networking
    o hang around with people who are interesting
    o invest in relationships that matter for your future (career)
  • The time to start picking your family is now
    o the best time to work on your marriage is before you have one
    o picking your family is not killing time with whoever is choosing you

Ja also klingt das nach der besten Zeit des Lebens einer Frau oder klingt das nach gesellschaftlichen Ansprüchen? Obwohl ich noch nie konkret darüber nachgedacht habe, ob ich mich nach Jays Regeln auf „dem richtigen Pfad“ befinde, muss ich ihr nach dieser Checkliste kurz zunicken. Ja, läuft nach Plan, Dr. Jay! Zum Schluss gibt sie allen den Tipp:

30 is not the new 20, claim your adulthood, get some identity capital, pick your family, don’t be defined by what you didn’t know.

Es scheint, als hätten Frauen nach Jays erleuchtender Rede die Wahl. Entweder sie bleiben “doof”, amüsieren sich weiter, ohne an Konsequenzen zu denken, interessieren sich die Bohne für die auferlegten Wertvorstellungen der vorangegangenen Generation und leben nach ihren eigenen Regeln, vielleicht sogar mit zeitraubenden Versagern und Karriereknicks. Oder sie kriegen ihren Arsch hoch, suchen sich gefälligst eigene, am besten später in Geld verwertbare Interessen und jemanden, den es sich auch „lohnt“ zu daten, denn zwei erfolgreiche Menschen können sich auch besser ein Haus in der Vorstadt kaufen, oder? Die leise vor sich hin plätschernden Freundschaften werden alle fünf Wochen zum pro-forma Abendessen eingeladen, man kennt sich von der Freiwilligenarbeit letzten Sommer oder tüftelt gemeinsam an einem Internet Start-up. Man streitet über die Sinnhaftigkeit direkter Demokratie oder ob man schon darüber nachgedacht hat, statt Butternuss endlich Bischofsmützen-Kürbis in der Urban Gardening Parzelle anzupflanzen.

Die berufliche Selbstverwirklichung führt wie im Fall von Emma (eine weitere Klientin) automatisch dazu, dass man den richtigen Partner findet und fünf Jahre später verheiratet ist, mit Anfang dreißig, wie es aalglatte Lebensläufe ohne Brüche für die privilegierten Zwanzigjährigen vorgesehen hatten. Obwohl ich an der Liste von Frau Jay aufgrund eigener Befangenheit nicht viel kritisieren kann, bleibt es doch eine Liste. Ein gebullet-pointeter Lebensentwurf, ein Schema-F für den glücklichen Verlauf des Lebens, ohne Ausstiegsmöglichkeiten oder Entscheidungsvielfalt. Ohne der statistisch betrachtet gar nicht so kleinen Option des Scheiterns, einem Leben, das „schief geht“, obwohl man sich jeden Schritt in der Theorie gut überlegt hat. Ein Dasein, das keiner haben möchte. Wenn man ein mieses Leben führt, dann wohl nur, weil man sich nicht an die Spielregeln gehalten hat. Schließlich kann es jede schaffen, sich von ihrem Kellnerinnen-Job zu lösen und „endlich was mit Kunst“ zu machen.

Oder?

+ posts