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„Hello friends, Michael Buchinger hier.“ Als ich vor etwas mehr als einem halben Jahr im Gap Magazine auf den österreichischen Prototyp eines Self-Media-Man aufmerksam wurde, konnte ich mir unter Vlogging nicht allzu viel vorstellen. Bis auf eine kurze Phase im Sommer 2011, als ich Jenna Marbles abonniert hatte (deren Videos ich seit meiner hastig fortschreitenden Abneigung gegenüber Stereotypisierungen mittlerweile keine drei Sekunden schauen könnte), waren Vlogs nicht in mein herkömmliches Mediennutzungsverhalten integriert worden. Und das, obwohl ich nach gängigem Schematadenken wohl der Kategorie „Digital Native“ zuzuordnen wäre.

Michael Buchingers »albernes Hobby« hat 17.000 Likes auf Facebook. Er ist einer der bekanntesten Youtube-Vlogger Österreichs und könnte das schon bald zu einem Beruf machen. (The Gap)

Wo lag der Ursprung meiner Aversion, nein, meines Desinteresses? Monatliche Hass-Listen, Backtipps und Prokrastinations-Schabernack hatte ich zu genüge gelesen, so mein erster Gedanke. Muss man gegenwärtiges, unreflektiertes Geschwafel wirklich zusätzlich auf Video für alle Ewigkeit festhalten? Ich zückte mein Smartphone und legte los. Zwei Stunden später hatte ich nicht nur meine Verabredung verpasst, sondern auch die Hass-Listen der letzten fünf Monate deftig gefeiert und „50 Facts about me“ aufgesogen. Gretlproductions hatte mich fest im Griff. Entschuldigung, hat! A stalker was born, aber du machst es uns auch besonders leicht, Michael!

Eines (immerhin!) habe ich während meiner langjährigen Anhäufung von Gedankenergüssen unterschiedlichster Qualität im Internet ausgelassen: Das Filmen. Warum eigentlich? User-generierte Videos sind die logische Konsequenz unserer allumfassenden, hochtechnologisierten Informations- und Überwachungsgesellschaft. Warum nicht das beste daraus machen und Leuten Einblick in das eigene Wohnzimmer gewähren, bevor sie sich selbst Zugang dazu verschaffen? Zudem können authentische Videos deutlich schneller Userbindung generierenund Nähe suggerieren, da selbst der langweiligste Monolog mehr über die eigene Person verrät, als jeder künstlich hochstilisierte TAZ-Beitrag.

Zweifelhafte Videoqualität scheint bei „professionellen“ YoutuberInnen verpönt zu sein. Wer etwas auf sich hält, kauft sich sobald wie möglich hochwertiges Equipment. Schließlich muss zu erkennen sein, ob man sich tags zuvor die Poren gereinigt hat (auch abseits der zahlreichen Beauty-Vlogs)! Was braucht es sonst? Photoshop-Skills und ein Gefühl für passende Fonts (Anm. für Nicht-PhotoshopperInnen: Schriftarten) können nicht schaden, ebenso wenig ein loses Mundwerk und der Drang zur ironischen Selbstdarstellung. Allzu grüblerisch sollte man nicht veranlagt sein, könnte es doch passieren zwei Jahre nach einer Aufzeichnung den Wunsch zu verspüren, seinen eigenen Mund nach abermaliger Rezeption zuzukleben. Für immer.

Heute betrachte ich Vlogs aus sicherer Entfernung. Da gibt es Catycake, die sich mit Vorliebe „Haarstyling, Schminke, Schuhe und Serien“ widmet, und auch nicht müde wird „What’s in my handbag“ Sonderedition „Reise“ zu drehen. Ihren Freund, den sie – wie sollte es anders sein – ebenfalls durch ihr Hobby kennengelernt hat, schminkt sie für ihre Fans als 20.000 Abo Spezial Geschenk. Nur dank CatyCake weiß ich, dass es so etwas wie den „Boyfriend Tag XXL“ gibt, wo man vor laufender Kamera Fragen über die eigene Beziehung beantwortet. Stimmt’s Schatzi? Das erklärt im Übrigen auch, warum ich den Werdegang ihrer Beziehung besser kenne als jenen meiner Nachbarin und deren Mann. Auch spannend: Packing For a Holiday Weekend von Organized by Jen. Hätte ich das Talent, Dinge zu organisieren, würde ich meine Zeit tatsächlich darin investieren, es anderen via Youtube Channel näher zu bringen? Alleine das Aufrufen besagter Channels ist für mich ein Zeichen der Ineffizienz. Woraus wird dabei der Nutzen für mich als Rezipientin generiert? Dass Jen Spaß an der Sache hat, ist einleuchtend. Ist es wirklich das Geld, das sich dabei verdienen lässt, während man Drogerie Make-up anpreist und In-Flight Essentials nach ihrer Wichtigkeit reiht? Laut Christoph Poropatits, Executive Vice President von Mediakraft Deutschland, können in Deutschland etwa ein paar Dutzend davon leben. “Hat ein Kanal mit regelmäßigen Inhalten um die 100.000 Abonnenten, so ist das ein guter Indikator, dass die Werbeinnahmen so hoch sind, dass man davon leben kann. Bei einer Million Aufrufen pro Monat beginnt es, finanziell interessant zu werden.” Wie viel ein Youtuber pro Tausend Klicks bekommt, konnte der Vertragspartner von Google dem Standard leider nicht verraten.

Zugegeben, obwohl mich der Inhalt von Videos mit Titeln wie „DIY Tafel selbst basteln“ oder „Wie man cool wird auf Facebook“ weniger interessiert als meine sonstige Lektüre, habe ich Gefallen an dieser Art der journalistischen (?) Eskapismusmöglichkeit gefunden. Ich freue mich auf ein gutes Stück Kuchen, das ich während einer neuen Hass-Episode vertilge. „Mmmmmh ja, Michael! Das kenne ich nur zu gut!“, wollte ich dir schon oft in den Kommentaren zukommen lassen. (Habe jedoch keinen Youtube Account und halte auch sonst nicht viel von anonymer Meinungszufuhr in dialogabträglicher Form.)

Da ich zwar keinen Vlog, aber immerhin einen Blog führe (haha, wie altmodisch!), konnte es zu diesem ehrlichen Interview mit Michael kommen. Darin beantwortet er alle Fragen zum Thema Vlogging, die mir schon lange auf meiner ausgetrockneten, bodenständigen, medial lediglich eindimensional agierenden Schreiberlingseele gebrannt haben.

Hallo Michael! Laut Christoph Poropoatits ist ein Youtube-Star “auf jeden Fall sehr agil und kreativ, im Umgang mit neuen Medien unglaublich versiert” und lebt “es” tagtäglich. In deinem aktuellen Video meintest du, dass Youtubevideos einfacher zu drehen wären, als viele glauben. Was unterscheidet einen “Youtube-Star” von einem herkömmlichen Vlogger? Was ist der Reiz an dieser Form der Unterhaltung, des Infotainments – wenn man das so nennen darf?

Hallo! Ich habe vor einiger Zeit an der Uni einen Kurs über Social Media gemacht und im Rahmen dessen einen Text von Alexandra Juhasz gelesen (schau uns an, wie wir mit Namen um uns werfen!). Darin behauptet sie, dass der Reiz von YouTube aus der Spontaneität und Schnelllebigkeit des Mediums besteht. Ich glaube, das stimmt! Ich könnte mich rein theoretisch dabei filmen, wie ich „Germany’s Next Topmodel“ kess kommentiere und das Video dann noch am gleichen Abend online stellen – oder es gar live übertragen. Das würde vermutlich im ersten Moment supergut ankommen, und zwei Wochen später niemanden mehr interessieren. Zwar gibt es einige Evergreens unter meinen Videos, aber der eigentliche Reiz besteht für mich daraus, Trends zu erfassen und in Videos zu verarbeiten.

Dein Untertitel lautet “skarkastisch und schlecht gelaunt”. Glaubst du, dass das auch deinen Reiz für eine hedonistische, junge Zielgruppe ausmacht?

Bestimmt! Ich bin mir bewusst, dass ich mit meiner Art eine spezifische Gruppe von Jugendlichen anspreche – die Sorte Leute, die sarkastisch die Augen verdrehen, während sie Hummus löffeln. Aber das finde ich insofern nicht schlimm, da ich selbst ja auch wirklich so bin.

Wie oft drehst du ein Video, bis du zufrieden bist? Bei unserem Blog gibt es durch den gegenseitigen Austausch eine Art Qualitätssicherung inklusive Korrekturfunktion. Wie perfektioniert man ein bereits abgedrehtes Video? Ich stelle mir das durchaus schwieriger vor, als hin und wieder einen Absatz zu verschieben. Wer gibt dir Feedback, bevor du hochlädst?

Es ist wirklich nicht schwierig! 90% der Arbeit liegen im Schnitt, an dem ich oft mehrere Stunden sitze, auch wenn es nicht so aussieht. Beim Filmen dagegen rede ich oftmals einfach eine halbe Stunde drauf los. Dann kürze ich meinen Stream-of-Consciousness auf 5 Minuten, die halbwegs Sinn ergeben sollten. Das ist die wahre Challenge. Aus diesem Grund drehe ich die meisten Videos nur einmal. Feedback gibt mir vorher aber niemand und meine Abonnenten sind meistens die ersten Leute, die ein neues Video zu sehen bekommen.

Deine Zielgruppe besteht aus 13- bis 18-Jährigen. Aus diesem Alter sind sowohl du als auch wir längst raus. War es beabsichtigt, diese Zielgruppe anzusprechen? Wenn nein, was sagt das über deine Themenwahl aus? Denkst du dir manchmal selbst: „Puh, das war jetzt aber nicht unbedingt das Tiefgründigste, das ich je gesagt habe.

Das war in der Tat nicht beabsichtigt – aber ich glaube, dass es manchmal weniger an meiner Themenwahl, als vielmehr an YouTube als jungem Medium liegt. Für ältere Leute, die – wie ich – nicht mit dem Internet und dem Konzept einer „YouTube-Persönlichkeit“ aufgewachsen sind – bin ich einfach ein Nerd mit Computer und Internetverbindung. Sie schauen ab und zu meine Videos, aber abonnieren mich nicht, weil sie oft auch gar keinen YouTube-Account haben. Und das finde ich okay! Die 13- bis 18-Jährigen sind dann jene, die das Medium in seiner vollen Breite nützen: Sie haben einen Account, abonnieren, kommentieren und sharen – oder aber sie machen GIFs von mir für tumblr. Ich wusste in dem Alter ja gar nicht, was ein GIF ist. Bin mir da noch immer nicht zu 100% sicher.

Würdest du dich in Zukunft lieber politischeren und gesamtgesellschaftlich relevanteren Themen zuwenden, als Mayonnaise Torten zu backen? Siehst du dich als Journalisten, der aktiv zur Meinungsbildung beiträgt? Im Gegensatz zur Online-vs-Printjournalismus-Debatte habe ich noch nie davon gehört, dass Vlogs andere Formen der Publikationsmöglichkeiten ausmerzen könnten. Werden Vlogs (journalistisch) unterschätzt?

Das Ziel meiner Videos war für mich von Anfang an, meine Zuseher zu unterhalten und 5 Minuten lang ihren Alltag vergessen zu lassen. Ich versuche daher bewusst, harte Themen in meinen Vlogs zu vermeiden, obwohl ich mich privat natürlich mit ihnen auseinandersetze. Ausnahmen bestätigen die Regel, aber viele Leute nutzen YouTube, um Realitätsflucht zu betreiben und daher kommen „ernste“ Videos leider auch nicht so gut an.

Gibt es VloggerInnen, denen du seit Jahren folgst und die in gewisser Weise als Vorbild für dich fungieren? Oder ist der Hype derartig neu, dass eher du für andere Leute zum Prototyp avanciert bist? War die Verheißung der Warhol’schen 15 Minuten Ruhm groß genug, um sich dafür zu entscheiden, Videos (die Youtube bekanntlich nicht löscht oder löschen wird) zu machen?

Mein Vlogger-Vorbild ist und bleibt Grace Helbig, weil sie sich nicht für lustig hält, sondern es wirklich ist. Viele andere YouTuber schaue ich ehrlich gesagt gar nicht so regelmäßig, wie sie. Bestimmt wird mir niemand glauben, aber ich habe nicht mit meinen 15 Minuten Ruhm gerechnet, als ich angefangen habe, Videos zu drehen. Vielmehr war ich ein fürchterlich schüchternes Kind, das ein Ventil für seine Gags brauchte. YouTube ist super dafür, weil man sich zwar „öffentlich“ zeigt, aber dennoch genug körperliche Distanz zum Publikum hat, um nicht in Angstschweiß auszubrechen.

Welche Assoziationen gehen dir bei „Boyfriend XXL Tags“ durch den Kopf? Findest du es in Ordnung, wenn VloggerInnen neben ihren Produktpräsentationen auch den Partner einbinden, um den „Fans“ mehr Einblick in ihr Privatleben zu gewähren? Ist das Berechnung, unreflektierte Selbstdarstellung – macht es ihnen gar Spaß? Wo ziehst du bei deinem Vlog die Grenze?

Ich finde es okay, wenn jemand seinen Partner in seine Online-Präsenz einbinden möchte. Sicher wird damit das voyeuristische Bedürfnis vieler Zuseher befriedigt. Das würde ich selbst aber nicht tun. Ich habe letztens erst mit jemandem diskutiert, der mir unterstellt hat, zu viel Privates im Internet preiszugeben. Ich habe argumentiert, dass das nicht stimmt, weil ich ja wirklich nur die Oberfläche streife und mir selbst aussuche, was ich zeige: meine besten Freunde oder meine Familie sind großteils noch nie in meinen Videos vorgekommen, weil ich das nicht möchte. Manchmal bereitet es mir auch nahezu diabolische Freude, Geheimnisse vor meinen Zusehern zu haben. Zum Beispiel habe ich mir letztens mein Haar sehr kurz schneiden lassen. Aufgrund meiner emsigen Video-Vorproduktion hat der YouTube-Michael aber zwei weitere Wochen lang langes Haar getragen. Ich weiß nicht, wieso, aber meine zwei Wochen mit „geheimem Haarschnitt“ fand ich irrsinnig befriedigend.

Wie gut kennen deine Follower den „wahren Michael“ auf einer Skala von 1 bis 10 – wie er auch mit seinen Freunden im Café weilt und über Beziehungen spricht? Oder anders formuliert: Wie viel Fiktion steckt in deiner Charakterpräsentation?

5! Früher habe ich mich in meinen Videos mehr hinter einer Persona versteckt, als heute. Da war ich den Videos sehr aufgedreht und verrückt, also völlig anders als privat, weil ich damals ja noch irrsinnig schüchtern war. Die größte Fiktion in meinen Videos entsteht mittlerweile durch meine (bewusste) Oberflächlichkeit und die Nachbearbeitung: Der Zuseher sieht nicht, wie ich in die Ferne starre, stottere und überlege, was ich als nächstes sage. Im Video wirkt es dann so, als hätte ich 5 Minuten aufgeweckt durchgesprochen, was natürlich nicht stimmt und wahrscheinlich auch irrsinnig anstrengend wirkt. Im Café mit Freunden bin ich sehr entspannt und lasse gerne die anderen Personen reden. Der Zuseher sieht auch nicht, dass mehrere Lampen mit sanftem Licht auf mich gerichtet sind, damit ich möglichst frisch aussehe. In Wirklichkeit habe ich massive Augenringe.

Du gehst sehr offen mit alten Videos um. Woher kommt diese herrliche Selbstdistanz und eitle Uneitelkeit? Einerseits erkennt man, dass du wert auf Optik legst und nicht vor die Kamera trittst, wenn du gerade aufgestanden bist. Andererseits scheint es dir nichts auszumachen, dich über dich selbst lustig zu machen. Gibt es Momente, an denen man an sich und seinen Qualitäten als Blogger zweifelt?

Nichts finde ich unsympathischer, als einen Vlogger, der sich selbst zu ernst nimmt. Wir machen Videos auf YouTube – das ist keine Wissenschaft und daher nehme ich mich auch gerne selbst auf den Arm. Meine älteren Videos sind super-strange und dazu stehe ich auch. Ich finde, dass der Austausch mit meinen Zusehern durch diese Offenheit viel lockerer wird. Niemand wird in den Kommentaren „Du bist voll hässlich, du hast einen Pickel auf der Nase!“ schreiben, weil ich das Video vermutlich schon mit „Hello Friends, ich habe einen Pickel auf der Nase!“ begonnen habe.

Du betreibst – soweit ich das erkennen konnte – kein Product Placement in deinen Videos. Absicht oder war das richtige Produkt noch nicht dabei? Wie stehst du zu VloggerInnen, die den Antrieb eher aus monetären Gründen ziehen, als aus freien Stücken? Wobei: Gibt es das überhaupt? Menschen, die ohne Freude am Filmen VloggerInnen sind? Die Henne-Ei Frage!

Als YouTube-Partner wird ja Werbung vor oder auf Videos eingeblendet, durch die man als Content-Creator Geld verdient, was bestimmt für viele ein Antrieb ist. Ganz ehrlich: Ich bin auch nicht jede Woche topmotiviert, ein Video zu filmen – aber dann fällt mir ein, dass ich ja Miete zahlen muss und werfe die Kamera an. Auf diese Weise verdiene ich Geld. Product Placements habe ich aber noch nicht gemacht, weil ich nicht möchte, dass YouTube-Videos das gleiche Schicksal wie Mode-Blogs teilen müssen: Da postet doch mittlerweile jeder nur noch das gleiche, gesponserte Zeug und niemanden interessiert es mehr. Irgendwie kann ich Mode-Blogger nicht mehr ernst nehmen, nachdem sie mir vorgaukeln wollen, dass ein robuster Werkzeugkoffer Teil ihrer „Monatsfavoriten“ ist.

Gibt es Freunde, die das Vloggen nervt? Würdest du dich deshalb von ihnen verabschieden? Wer so viel von sich im Internet preisgibt, wird dadurch automatisch angreifbar. „Wer meine Vlogs nicht mag, mag auch mich nicht!“ Kannst du dem zustimmen?

In meinem Freundeskreis gab es da noch nie Komplikationen. Wieso auch? Eine Freundin von mir arbeitet bei McDonald’s – finde ich auch nicht toll, aber trotzdem kündige ich ihr nicht die Freundschaft. Allerdings rate ich meinen Freunden generell immer, sich meine Videos einfach nicht anzusehen. Die meisten Dinge, die ich in meinen Videos sage, wissen meine Freunde ohnehin schon und so interessant, dass man meine Weisheits-Perlen zweimal hören müsste, bin ich jetzt auch wieder nicht.

Würdest du dein Studium aufgeben, um Vollzeitvlogger zu werden – wenn du davon leben könntest? Oder könntest du das bereits. Theoretisch, mit einigen Änderungen?

Manchmal träume ich wirklich davon, mein Studium aufzugeben und einen „Eat, Pray, Love“-artigen Trip um die Welt zu unternehmen. Um Vollzeitvlogger zu werden, würde ich das aber wirklich nicht tun, zumal ich auch nicht davon ausgehen kann, dass meine Zuseher sich bis in alle Ewigkeit für mich interessieren werden – daher würde ich meine Ausbildung nicht abbrechen. Und obwohl ich mich sehr gerne über mein Englisch-Studium aufrege, gefällt es mir ja insgeheim doch sehr gut.

Du schreibst nebenher auch Kolumnen. Wann entscheidest du, welche journalistische Darstellungsform für welches Format geeigneter erscheint?

Das stimmt! Ich glaube ich erzähle einfach generell gerne Geschichten, aber Kolumnen geben mir die Möglichkeit, Erlebtes ein bisschen pointierter und durchdachter wiederzugeben, als Videos. Vielleicht ist es kontraproduktiv, sowas laut zu äußern, aber: Obwohl mir Filmen auch große Freude bereitet, schreibe ich viel lieber Kolumnen. Vor allem deswegen, weil ich für diese Tätigkeit weder mein Bett verlassen, noch sonderlich präsentabel aussehen muss.

Du hast nun Erfahrung mit dem Drehen von Videos, dem Sprechakt, dem Schreiben von Kolumnen, du fotografierst. Ein multimediales Wunderkind! Warum kein Journalismus oder Publizistik Studium? Kein Interesse, hinter die Machenschaften von PR, Journalismus und Werbung zu blicken? Sich anschließend auch auf metakommunikationswissenschaftlicher Ebene über Alltagsphänomene unterhalten zu können?

Doch, das interessiert mich sogar sehr! Ich möchte nicht gemein klingen, aber ich kenne viel zu viele Leute, die Publizistik studiert haben und jetzt als Barista bei Starbucks arbeiten. Daher bin ich solchen Studienrichtungen gegenüber immer ein bisschen kritisch eingestellt und glaube auch nicht, dass man Schreiben und Kreativität lernen kann. Aber ich sehe mich schon vor meinem inneren Auge, wie ich bei Starbucks arbeite und Smileys auf die Pappbecher male, um überhaupt etwas zu fühlen.

Kommen wir kurz zu „Organized by Jen“. Hätte ich das Talent, Dinge zu organisieren, würde ich meine Zeit tatsächlich darin investieren, es anderen via Youtube Channel näher zu bringen? Woher nehmen manche Menschen deiner Meinung nach nicht nur die Zeit, sondern auch die Muße für solch unspannende Videoaufzeichnungen?

Das wird mir ein ewiges Rätsel bleiben. Ich bin ja ein relativ fauler Mensch, und wenn ich schon sehe, dass ein Video über 7 Minuten lang ist, klicke ich es gar nicht erst an. Ich denke, diese Videos sprechen eine sehr spezifische Nische an, in der sie aber irrsinnig erfolgreich sind. Sowas gibt es überraschend oft: Ich habe zum Beispiel letztens die Bekanntschaft von Jörg Sprave gemacht – ein YouTuber, der Wurfgeschosse aus Holz bastelt und damit sehr erfolgreich ist. Ich bewundere jeden, der seine Nische gefunden und erobert hat.

Zum Abschluss eine gängige journalistische Klischee-Frage, deren Daseinsberechtigung ich einfach spontan mit meinem persönlichen Interesse begründen werde: Woran möchtest du arbeiten und wo siehst du dich in fünf Jahren?

Es ist aber auch eine berechtigte Frage! Ich möchte sehr gerne mehr Geschichten schreiben, oder an einem Buch arbeiten, und tue das auch, so oft ich Zeit finde. Im Moment schreibe ich aber mehr für mich selbst und finde das auf merkwürdige Weise sehr entspannend. In fünf Jahren bin ich dann entweder noch immer fleißiger YouTuber, oder lebe unter anderem Namen in einer anderen Stadt und ändere wöchentlich meine Frisur.

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