Klein und dick, alt oder Vokuhila – Es wird viel darüber diskutiert, ob Germanys Next Topmodel jetzt in der 17. Staffel endlich divers genug ist (1, 2, 3). Auch zu den Hintergründen wird spekuliert. Ist Heidi eine Rebellin, die sich mutig gegen die restriktive Modeindustrie stellt und dafür in Kauf nimmt Kund*innen zu verlieren – oder ist es doch einfach Diversity Washing?

Vielleicht merkt Heidi auch jetzt, wo ihre “kleine” Tochter Leni alt genug fürs Modeln ist, dass die extrem limitierenden Bedingungen der Branche selbst für sie Nachteile haben können.

Außerdem, hat vielleicht mal wer daran gedacht, dass jetzt Frauen ü 50 bei gntm sind, damit sich Heidi nicht so alt fühlt? Sie wird ja selbst nächstes Jahr 50…

Ne, im Ernst. Die Diskussion über die Glaubwürdigkeit der Diversität ist wichtig, aber lenkt auch ein bisschen davon ab, dass bei der Sendung noch weit aus mehr schief läuft. Liebe Heidi, wir müssen reden!

Was hat sich in den letzten 18 Jahren verändert?

Ich persönlich bin damals erst zur zweiten Staffel gntm eingestiegen, hab nach Staffel 6 einige Jahre Pause gemacht und dann wieder bei Staffel 15 richtig weitergeguckt. Zu meiner Verteidigung: Es war Pandemie und ich in einer Trennung, irgendwas musste ich ja machen. Natürlich hab ich trotzdem mitbekommen, dass in der ersten Staffel Lena Gercke gewonnen hat, kannte aber die anderen Kandidatinnen nicht. Als ich mir die jetzt angeguckt habe, konnte ich dann doch einen eindeutigen Unterschied zur jetzigen Staffel beim Thema Diversity sehen:

Quelle: Presseportal.de

Ich meine, guckt es euch einfach an. Die Älteste der Top 12 war damals übrigens 22! Also für damalige Verhältnisse schon eine Model-Greisin! 

In der Zwischenzeit hat sich doch einiges verändert, wenn auch nicht alles. Wieso bekommt Lena z.B. nie eine Einladung zum Jobcasting, obwohl Heidi sie immer in den höchsten Tönen lobt? Vielleicht liegt es daran, dass die Branche einfach (noch?) nicht bereit ist, Kleidung für ihren Typ herzustellen. Petit Model? Ok. Plus Size? Nagut. Aber beides zusammen? Geht scheinbar gar nicht. Und das, obwohl genau dieser Körpertyp ja in der Realität wahrscheinlich häufiger vorkommt als 90-60-90 und 1,75m und damit eigentlich auch mehr Mode-Kund*innen haben sollte.

Apropos 1,75m. Wer erinnert sich noch daran, dass es “früher” bei Germany’s Next Topmodel diese magische Grenze bei 1,75m gab, die darüber entschieden hat, ob Frauen Model werden können oder nicht?

https://vm.tiktok.com/ZMLgMFyfk (ab 00:29)

Konfektionsgrößen über 34 wurden maximal beim  “Fat” (wirklich in ganz großen Anführungszeichen) Shaming thematisiert:

Die Kandidatin, die hier geshamet wird, weil sie durch eine Malaria-Infektion zunehmen musste, trägt vielleicht Kleidergröße 36-38. Das ist nicht dick! Also nochmal für alle zum Mitschreiben: Der Durchschnitt für Frauen in Deutschland liegt bei 1,66m und 68,7kg, nicht 1,75m und 50kg. Und über diesen Werten drüber oder drunter liegen ist natürlich immer noch genauso normal.

Also genau diese limitierenden Werte, die gntm jetzt angeblich beseitigen will, haben sie selbst vor ein paar Jahren noch hart verteidigt. Ich würde sogar sagen, dass Heidi und ihre Produktion mit Schuld daran haben, dass sie sich so tief ins Gedächtnis unserer Generation geschrieben haben. Fest steht also: Es wurde Zeit, dass sich was ändert.

Aber wenn das Wort Diversity in jedem zweiten Satz fällt, Vielfalt wie auf einer Checkliste abgearbeitet wird und jede Person ihre “Makel” bei dramatischer Musik vortragen muss, wirkt das auf mich weniger glaubwürdig, sondern eher aufgesetzt und cringe:

Drama, Drama, Drama

Aber, wie gesagt, echte Diversity ist nicht das einzige Problem. Reality-TV ist sowieso immer flawed. Unter anderem, weil es von Konflikten lebt. So wie dem zwischen Noëlla und den anderen. Kurz: Die weißen Models finden Noëlla allesamt zu laut und zu direkt – obwohl sie eigentlich nur … sie selbst und ehrlich ist. Obwohl der Konflikt unnötigerweise gezeigt wird, habe ich das Gefühl, dass in dieser Staffel immerhin beide Blickwinkel dargestellt werden und Noëlla für ihr “Verhalten” auch Verständnis bekommt.

Aber es hatte schon einen komischen – oder sagen wir wie es ist, rassistischen –  Beigeschmack, als Nikeata Thompson Noëlla beim Coaching vor allen erklärt, dass sie aufgrund rassistischer Erfahrungen gelernt hat, sich aktiv zu verteidigen und die weißen Frauen dann so reagieren: “Ja, gut, dass du das jetzt weißt, dann kannst DU dich ja jetzt ändern.” Äh…check your privileges!

Martina – das österreichische Revival Topmodel aus den 90ern – erklärt sogar, dass Noëlla dieses Verhalten schon noch “überwinden” wird. Noëlla bekommt zwar Verständnis für ihr Verhalten – aber es wird trotzdem durchgehend als falsch dargestellt. Das Verhalten der anderen hingegen nicht, obwohl sie Noëlla bewusst ausschließen und vor der Kamera hinter ihrem Rücken lästern.

Confidence is key – Nikeata Thompson coacht die Models für die Top Ten | GNTM 2022 | ProSieben

Wie ist das möglich? Ganz klar: Framing. Die Kandidatinnen haben keine Kontrolle darüber, wie sie dargestellt werden. Sie werden rund um die Uhr gefilmt, bekommen in Interviews Fragen gestellt, die wir nicht hören und der Schnitt macht dann den Rest. In früheren Staffeln haben die unsympathischen Darstellungen von Kandidatinnen auch zu real life Mobbing und sogar Morddrohungen geführt. Wie Reality-TV Mobbing fördert, habe ich hier beschrieben.

Aber auch bei dem Thema habe ich das Gefühl, dass sich ein kleines bisschen was getan hat. Gefühlt bekommen Konflikte abseits vom Modeln und Scheitern bei Germany’s Next Topmodel weniger Sendezeit – oder hab ich mich einfach nur dran gewöhnt?

Die Beste gewinnt

Okay, aber selbst wenn ich damit Recht habe, gibt es immer noch mehr issues. Castingshows haben sowieso schon immer die Schwierigkeit des Vergleichs. Das ist psychologisch einfach hart. Außerdem müssen sich die Teilnehmerinnen bei GNTM an Hedis strenge Regeln halten. Kein Alkohol, keine Zigaretten, Sport und gesundes Essen.

Wir lernen in der Sendung nichts anderes als: Heidi hat immer Recht.

Sie ist die unangefochtene, coole Model-Mama in der Ferne, die in fancy Outfits zum Set kommt und das Zepter schwingt. Im Prinzip leben die Models in einer Art Heidi-Diktatur, der sie sich nur unterwerfen können.

Heidi sagt, dass Bild ist schön? Dann ist das Bild auch schön. Auch wenn das Internet der Meinung ist, dass es vielleich nicht die beste Wahl war:

 

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Wie problematisch dieser Personenkult werden kann, können wir z.B. an ihrer früheren Einstellung zum Thema Diversity sehen.

Aber meiner Meinung nach das Schlimmste: Die Model wohnen über Wochen bis Monate zusammen mit fremden Menschen, teilweise auf engstem Raum. In der letzten Staffel sah das z.B. so aus:

25 Personen die zusammen in einem Loft schlafen müssen. Und sie können das Loft ja auch nicht einfach verlassen, nicht mal zum Einkaufen. Wir alle wissen, wie hart der Lockdown (oder Schulübernachtungen in der Turnhalle) war und jetzt stellt euch vor, dazu kommt noch Kontaktverbot zu Angehörigen, der Druck des Wettbewerbs und permanent gefilmt zu werden.

Außerdem gibt es auch noch Heidis extra Regelungen wie kein Alkohol, keine Zigaretten, Sport und gesundes Essen. Das ist ein völlig fremdbestimmtes Leben.

Ich finde, die Model bekommen viel zu wenig Credit dafür, dass sie in so einer Extremsituation einigermaßen sane bleiben. 

Fazit

Es gibt also echt so einiges, was immer noch problematisch ist. Schließlich handelt es sich bei Germany’s Next Topmodel um eine Sendung eines Privatsenders, der damit Geld verdienen will. Da helfen eben die guten alten Geheimzutaten: Konflikte und Promis. Außerdem: egal wie anstrengend und kreativ Modeln sein kann, es ist im Kern immer kapitalistisch. Bei dem Job geht es schließlich darum, Produkte zu verkaufen. Das heißt, eine große Masse mit einem breiten Lächeln und gerade-genug Personality anzusprechen. Eine Sendung, die sich durch Werbung finanziert, über einen Job, der defacto aus Werbung besteht – Adorno würde sich im Grab umdrehen. 

Und alles, was ich beschrieben habe, sind ja nur die Probleme, die vor der Kamera zu sehen sind. Dazu kommen ja noch Kritiken zu Knebelverträgen oder den nicht existenten Erfolgsaussichten nach der Sendung.

Ist Heidi also eine Rebellin, die sich mutig gegen die restriktive Modeindustrie stellt? Eher nicht. Für ihre Show hat sich die Diversity-Linie in jedem Falle gelohnt! Die Umstyling Folge der aktuellen Staffel hat jede vierte (!) Person der Zielgruppe eingeschaltet. Dadurch wurde sie zur stärksten Folge der letzten 13 Jahre. Auch der Gesamtanteil der Zuschauer*innen stieg in der vorherigen Staffel gntm deutlich auf 2,46 Mio pro Folge an, nachdem es die letzten Jahre immer bergab ging.

Das alles schreibe ich übrigens nicht, um alle, die die Sendung gucken zu verurteilen. Offensichtlich gucke ich sie selbst. Ich schreibe diesen Beitrag, um mich selbst daran zu erinnern, wie schlimm gntm eigentlich wirklich ist und ich mich nicht vom Diversity Washing einlullen lassen sollte. Eigentlich hab ich mir bei jeder Staffel immer vorgenommen, dass es für mich die letzte ist. Vielleicht schaffe ich es ja dieses Mal… 

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Hannah Pfeiffer
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Hannah beschäftigt schon lange die Frage, welche Botschaften Medien an uns senden. Deswegen hat sie während ihres Masters der Medienwissenschaft die Medienbildungsinitative im Kontext mitgegründet. Vor allem die Wechselwirkung zwischen gesellschaftlichen Vorstellungen und ihrer medialen (Re-)Produktion greift sie gerne in ihren Texten auf - immer mit einem Blick auf soziale Machtverhältnisse. Deswegen interessiert sie sich auch privat besonders für Kontroversen: zwischen kritischer Theorie und Reality-TV, zwischen Feminismus und Cheerleading. Seit diesem Jahr bereitet sie außerdem auch hauptberuflich in einer Fernsehredaktion wissenschaftliche Theorien verständlich auf.