Wir haben es geschafft, Schwestern! Der Feminismus™ ist inzwischen (zumindest) so weit im Mainstream angekommen, dass es eigentlich keinen Mann mehr auf OKC, Tinder & Co. geben dürfte, der davon gar nichts mitbekommen hat. Es ist gut, dass wir uns auf unseren Profilen als Feministinnen bezeichnen, es stolz in die Insta-Bio schreiben und Statements von schreibenden Frauen teilen.

Die Wunschgleichung lautet: Je mehr offene Feministinnen da draußen, desto leichter wird Dating!

Schließlich gerät inzwischen beinahe jeder Typ – ob er “will”, oder nicht – an eine von „uns“.

Doch … was machen, wenn der cute Typ aus der Onlinedating-Vorhölle sich in seinen Nachrichten (oder IRL) erstmal als Lindemann-Gedichtefan entpuppt? Andere Frauen in deiner Gegenwart verurteilt, slutshamed, mustert – oder ihm hin und wieder ein ungünstiges Wort seiner Jugend entfleucht?

Manche Freund*innen schwören ja darauf, sofort wegzurennen! Den unreflektierten Mann konsequent abzuweisen und nach dem nächsten Kandidaten Ausschau zu halten. In der Hoffnung, dass der es checken wird, was es bedeutet eine Frau zu sein. Nur: ist das realistisch? Ich frage mich…

  1. Was können wir in anlaufenden Liebesbeziehungen von unserem Gegenüber voraussetzen
  2. wo dürfen (!) wir in sachten Dosen Nachhilfe geben und
  3. wann sind die Grenzen des Machbaren überschritten?

Eine Antwort von sehr vielen, gespickt mit milder Subjektivität und 15 Jahren Erfahrung als mal mehr, mal weniger gesunde heterosexuelle Cis-Frau im Großstadt-Datingdschungel.

Blogparade: Ich rufe alle interessierten schreibenden Frauen dazu auf, ihre eigene Antwort unter #datingmen2020 zu verbloggen und mir den Link zu senden. Deine ganz persönlichen Erfahrungen und Grenzen zu diesem Thema interessieren mich nämlich. Sei es als alleinerziehende Mutter, Langzeitsingle, frischer Single oder Heavy-Userin von Datingapps.

* * *

Ganz ehrlich? Männer tun fast mir leid. Wenn sie an eine selbstbewusste Frau mit Haltung geraten, können sie eigentlich nichts anderes tun, als sich

  1. a) aus Angst mit Halbwissen aufzuplustern und im Anschluss lächerlich zu machen oder …
  2. b) sich fortzubilden.

Wenn sie langfristig mit uns mithalten wollen, wenn sie uns verstehen, unterstützen und aufrichtig lieben wollen, geht das zwangsläufig damit einher, sich mit den eigenen überholten Vorstellungen und Double-Standards auseinanderzusetzen.

Ob es nun darum geht, vom westlichen Stefanie-Giesinger-Idealbild abweichende Körper in Werbesujets oder auf der Straße zu akzeptieren – ohne dem Love-Interest einen Wink mit dem Zaunpfahl zu geben, sich doch „auch mal wieder ins Fitness-Center“ zu bewegen; oder die berufliche Ambition der Frau mit Egoismus und kurzfristigem Insta-Fame zu verwechseln, ist für den Outcome irrelevant.

Was zählt, ist meiner Meinung nach nicht immer der Wissensstand, sondern die Bereitschaft, alte Denkmuster zu durchbrechen und sich zu reflektieren. Die Fähigkeit, zuzugeben, dass man in Fall XY falsch lag. Google zu benutzen. Ein Buch anzunehmen.

Wissen kann angeeignet und erarbeitet werden. Ein flexibles Mindset? Eher weniger.

Oder, um es konkreter auszudrücken: Wenn ich einen Mann treffe, der bereits „Every Body is a Bikini Body“-Sprüche verstanden hat, fleißig Zitate weißer Feminist*innen teilt und sich in Kommentarspalten antisexistisch äußert, dafür aber – Beispiel – eine Rapperin of Color im Privaten als niveaulose Pseudointellektuelle abtut, weil irgendetwas an ihrer badassigen Art seinen Rassismus triggert, wird es schwierig. Wenn der Mann vorgibt, seine Hausaufgaben gemacht zu haben, dann allerdings seine blinden Flecken bewusst blinde Flecken seien lässt, auch. Insbesondere dann, wenn er sich – dank seines applauswürdigen „Gutseins“ als linker Mann – im Recht sieht und anfängt, sich wütend um Kopf und Kragen zu argumentieren.

Wenn er, kurz: ein charakterliches Arschloch ohne Demut ist.

Wenn ein Mann wiederum Scheiße labert und sich von seiner geschätzten Frau konfrontieren lässt, ohne defensive zu werden, auszurasten oder wild herumzuschreien, kann man – meiner ganz subjektiven Meinung nach – durchaus weitermachen. (Wenn er sonst super ist, offen über Gefühle kommuniziert, seine Großmutter regelmäßig besucht, dich nach dem Kino nach Hause fährt, Tampons kauft, … you name it.)

Zumindest dann, wenn einen der Spruch nicht bis ins Mark getriggert hat. Vermutlich hat jede Frau diesen einen Spruch, den sie niemals hören möchte. Ob es nun ein „nett gemeinter“ Kommentar über ein Körperteil („Du hast so tolle, starke Oberschenkel“), oder den eigenen Charakter („Ich liebe deine Wut!“) ist. Einmal ist nicht keinmal, und ich möchte auch keinen verletzenden Mann in Schutz nehmen – selbst, wenn er es „nur einmal getan“ hat. Es braucht schon einiges an Verliebtheit, um einen Mann kennenlernen zu wollen, der wirklich dumme Dinge aus den mittleren 200ern sagt.

Was keineswegs heißt, dass ich jeden Mann, den ich date, stundenlang babysitte, ihm feministische Theorien mit meiner Titte einflöße und dabei über den Kopf streichle.

Sondern, dass ich hin und wieder laut „HM, BIST DU DIR DA SiChEr?“ oder „Würdest du das auch sagen, wenn sie ein Mann wäre?!“ sage, und dann abwarte.

Ich lasse ihn – ganz in Manier der guten Lehrerin – selbst seine Hausaufgaben erledigen und höre mir maximal das Resultat zur Überprüfung an. Ich erwarte, dass der Stoff sich setzt. Wenn es nach zwei, drei weiteren Dates immer noch keine Hoffnung auf Besserung gibt, und sich das Mindset als starr und festgefahren erweist, dann liebe fellow Feminist*innen, ist es auch für mich Zeit, weiterzuziehen. So einfach ist es.

Das sind meine Voraussetzungen für Sushi auf der Couch.

Wenn er mit blöden Sprüchen aufhört, selbst anfängt problematische Narrative im TV zu erkennen und sich darüber aufregt; wenn er deinen Speck tätschelt und sagt, dass er dich mit egal welchem Gewicht lieben wird; wenn er ehrlich wissen möchte, mit wie vielen Männern du geschlafen hast und die Antwort schlucken kann; wenn er deine Empörung nicht lächerlich macht und mit dir wachsen möchte: dann ist er es v-i-e-l-l-e-i-c-h-t doch wert, ihm seine anfängliche Misogynie zu verzeihen. Betonung auf ANFÄNGLICH.

Ist das zu milde? Verzeihe ich zu schnell? Bin ich eine unemanzipierte Frau, die es doch besser wissen müsste? Ich hätte noch vor vier, fünf Jahren vermutlich hart über mich geurteilt.

Was mich schließlich dazu gebracht hat, nachsichtiger zu sein, ist mein Sexdrive die Erfahrung (und das Runterschrauben meines Egos). In einigen Männern steckte schließlich doch sehr viel mehr, als ich zu Beginn nach einem provokanten Kommentar gedacht hätte.

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