Sonja Eismann hat etwas Kluges im Missy-Magazine geschrieben. Macht würde zwar im Zuge der #MeToo-Debatten thematisiert werden, aber nur im Hinblick darauf, wie Frauen sich vor zu viel Macht schützen oder sich selbst mehr von dieser verschaffen könnten. Sie schreibt: „Ich glaube nicht, dass wir es mit einer Neu- oder Umverteilung lösen können, im Sinne von „Wir brauchen mehr Frauen in Machtpositionen“ oder „Wir müssen nur alle Schwachen empowern“. Denn: Macht funktioniert nur dann als solche, wenn es auch Machtlose gibt.“

Das, was die Autorin mutig beschreibt, ist genau jener Aspekt, der auch mir in der aktuellen Debatte rund um #femaleempowerment fehlt. Selbst, wenn mich daran etwas anderes triggert.

Frauen, die sind heute für den Spätkapitalismus wie ADAC-Engel in frecheren Posen, die ihn stürzen, oder zumindest verändern sollen und uns allen ein schöneres Arbeitsleben gestalten werden. Automatisch.

In Business-Talks und Debatten wird pauschal davon ausgegangen, dass Frauen die besseren Chefitäten wären, als ob die Hälfte der Weltbevölkerung quasi per Geburt mit niedlichen Charaktereigenschaften wie Einfühlungsvermögen, Kuschelbedürfnis und Güte gesegnet wäre und sich nicht auch mal danach sehnen würde, ordentlich auf den Putz zu hauen und sich durch die eigene Machtaneignung Privilegien zu verschaffen.

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Gestützt werden solche Vorannahmen von Studien wie jener der Norwegian Business School. Die Ergebnisse der Wissenschaftler*innen zeigten, dass Frauen klarer in ihrer Kommunikation, offener für Innovationen, gewissenhafter und besser darin seien, Mitarbeiter*innen zu unterstützen. Soweit, so okay. Aber sind sie denn auch zeitgleich gewillt, das System zu ändern, in dem sie sich hochgearbeitet haben?

Ich muss an ein Geschehnis denken, das mir vor Kurzem widerfahren ist. Während ich bei einem Netzwerk-Treffen an meinem Sekt nippe, frage ich die mir gegenübersitzende Chefin, warum sie Teamleiterin werden wollte. „Weil ich dann alles bestimmen kann“, sagt sie lächelnd. Besagte Frau sitzt gerne als Feministin auf Podien und Veranstaltungen um dort zu erzählen, wie sehr sie sich nicht für die Förderung anderer Frauen einsetzen würde, und knallt dann einen Bummer nach dem anderen auf den Tisch. „Ja, ist doch schön, wenn ich aussuchen kann, was in diesem Laden geschieht? Wenn ich das alleinige Sagen habe.“ Zwinker, Zwinker. Flache Hierarchien? Mitbestimmung? Auch mal: Platz machen, für andere? Fehlanzeige.

Sofort muss ich an Nasty-Gal-Gründerin Sophia Amoruso (inzwischen pleite) denken, und ihre fragwürdige Business-Bibel mit dem Titel #Girlboss. Bis heute werden immer wieder Stimmen laut, die Amoruso vorwarfen, wahllos Leute zu kündigen, weil diese sich nicht nach dem eigens konzipierten selbstausbeuterischen Arbeitsethos verhielten und um 18 Uhr nach Hause gehen wollten. Oder ganz einfach: schwanger wurden .

Bei Anschuldigungen wie diesen werde ich schnell ein bisschen wütend. Vielleicht bist du kein weltverändernder, unterstützender #Girlboss, nur weil du es in deiner Insta-Bio stehen hast, vielleicht bist du schlicht und einfach ein #shitboss – wie der Typ vor dir, nur mit Vagina?

Hannah Gadsby auf Netflix

Die, die gestern noch „Sexismus!!!“ riefen, bewegen sich schon morgen brav und angepasst im Chef*innensessel, und agieren dort in erster Linie: kapitalistisch. Scheinbar kann man jeden Menschen – auch Feministinnen – mit Geld und Macht gefügig machen.

Eine gewisse Analogie besteht inzwischen wohl auch zum weißen, Club-Mate trinkenden Skinnyjeansträger an der Uni, der sich zwar für voll links hält, aber wenig bis keine politische Arbeit leistet und verkennt, Solidarität zu zeigen. Was ihn natürlich nicht darin hindert, linke Räume einzunehmen.

Es geht selten bis nie um die Armen, die Geringlohnarbeitenden, die Marginalisierten, die Praktikant*innen und freien Mitarbeiter*innen in den Business-Panels. Dort kommen sie gar nie an. Es geht nie darum, die vorhandene Macht gerechter unter allen Frauen zu verteilen. Auch nicht-weißen und behinderten.

Wenn Frauen an der Spitze ausbeuterische Strukturen zulassen und sich mit vormaligen politischen Feinden verbünden, nur, um endlich selbst zu profitieren, dann ist das zwar ökonomisch für die Frau als solches zu begrüßen, ansonsten allerdings scheinheilig. Nur, weil man als Frau an der Spitze steht, hat das noch gar nichts zu bedeuten. Zumindest, wenn wir davon ausgehen, dass wir alle total gleich sind und das Geschlecht als solches gar keine Rolle mehr bei der Beurteilung von Taten, Talenten und Fähigkeiten spielen sollte. Ist es nicht das, was wir wollten?

Ich persönlich fühle mich als lohnarbeitende Frau nicht immer ausreichend „von meinen Schwestern“ unterstützt, von den Promi-Feministinnen und VIP-Karrieristinnen. Sind es nicht dieselben, die einerseits diese tollen Best-of-Frauen Listen veröffentlichen und andererseits im Anschluss zu geringe Honorare zahlen und einen Dreck auf die Arbeitsrechte anderer geben? Das ist nicht Feminismus, das ist Kapitalismus.

Ich bin frustriert darüber, wie unreflektiert Karrieristinnen oftmals in ihre Rollen hineinrutschen und verdrängen, was sie durchgemacht haben, sobald sie endlich in der Lage sind die Hebel „Hot“ or „Not“ zu drücken. Da werden E-Mails salopp beantwortet, da wird über Grenzen drübergefahren und respektlos gehandelt. Ganz so, wie es Männer auch machen. Nur, dass keiner darüber reden darf, ohne sich sofort dem Vorwurf der Antisolidarität schuldig zu machen. Dabei verbietet Solidarität keine sachliche Kritik. Sonst zwingt sie uns ja nur erneut zur Unterwerfung unter bestimmte Regeln. Da werden Sätze geschrieben wie „Naja, so ist das eben“ oder „Stell dich mal nicht so an mit deinem Sonderstatus“. Ich frage: habt ihr genau dieses Verhalten nicht auch irgendwann mal kritisiert?

Da fordern wir Monate und jahrelang Dinge wie Konsens, Respekt und anti-hierarchische Strukturen. Und dann hat sich irgendjemand den Corporate-Bullshit-Job unter den Nagel gerissen und gut ist? Macht auszuleben, im ganz klassischen Sinne nach Weber bedeutet jede Chance innerhalb einer sozialen Beziehung den eigenen Willen auch gegen Wiederstreben durchzusetzen, gleichviel worauf diese Chance beruht.

Macht führt dazu, dass Menschen denken sie hätten es mehr als andere verdient, an der Spitze eines Systems zu sitzen, von dem sie selbst genauso ausgebeutet werden, ohne es zu bemerken, nur, dass sie jetzt die Chance haben ein bisschen von oben mit zu tyrannisieren.

Ich wünschte, es wäre anders. So, wie ich es auch schon zum Glück oft erleben durfte, mit tollen Chefinnen. Bis es flächendeckend so weit ist, bleibt nichts übrig als jenen den Spiegel vorzuhalten, die sich in pseudo-emazipatorischer Sicherheit wiegen und zu kündigen, wenn eins es sich erlauben kann.

Egal, welches Geschlecht morgens hoch in die Chefetage fährt.

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Weiterlesen: Was ist eigentlich aus diesem Feminismus geworden? 

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