Während der Produktion meines eigenen Buches hatte ich mir vorgeonmmen, zu lesen. Was man eben so macht, oder machen sollte, als Autorin. Zumindest ein Buch pro Monat, und das ist ja wirklich nicht viel. So wie der in Paris lernende Hauptprotagonist A.I. Ferguson in Paul Austers 4 3 2 1 wollte ich meine Tage ganz nach dieser literarischen Figur gestalten, um so den richtigen Vibe für meine eigenen Textfragmente zu bekommen. Es hat wie immer so mittelgut geklappt, da ich dazwischen sehr viel gearbeitet habe und abends lieber vor Game of Thrones saß, als nach einem Tag voller Textarbeit weiter zu lesen.

Ich weiß nicht, wie es euch anderen Schreibenden geht, aber sobald ich zu begeistert von einem Werk bin, tendiere ich dazu, meinen eigenen Stil wahlweise zu adaptieren oder zu sabotieren. Ich stelle mir vor, wie es dem oder der Schreibenden ging, als er an genau diesen Seiten saß, die ich gerade lese und es offenbart sich mir dabei eine gewisse Geistesverbundenheit, die man nur kennen kann, wenn man schon einmal den ganzen Tag vor einem vierseitigen Text grübelte und nicht weiter wusste.

Bevor ich also im Herbst 2017 mit der Arbeit anfing, hatte ich eine grobe Literaturliste zusammengestellt. Ich habe meinen Eindruck für euch kommentiert.

/// Was ich fertig gelesen habe. 

  • Melissa Broder – So Sad Today

Ich folge Broders twitter Account schon seit vier Jahren, umso gespannter war ich auf das Buch, da ich auf twitter meist nur ein paar Sätze lesen konnte, die mir Zugang zu ihren Gedanken verschafften. Das Buch hat dann alle Erwartungen übertroffen, ich habe es in vier Stunden verschlungen und dazwischen fünf neurotische Instagram-Posts darüber geschrieben, wie sehr ich mich mit dem Geschriebenen identifizieren kann. SCARY! Vor allem die Essays über Liebe im digitalen Zeitalter haben mich irgendwo in den tiefsten Ecken meines Brustkorbs getroffen. Ich wollte die ganze Zeit laut “JA GENAU SO IST ES GOTTVERDAMMT” schreien, hätten meine Freundinnen nicht schlafend neben mir im Hostel gelegen.

Ein Buch für jeden, der sich schon einmal in die Social Media Präsenz einer andern Person verliebte, danach jede ihrer Interaktionen verfolgte, nur um am Ende doch geghosted zu werden. Oder so ähnlich. Lest dieses Buch!

“I still can’t believe that someone as hot as yuo has validation issues but I also know that being a very sensitive person on this planet is painful and some of us are built like sieves, or have holes where any external validation just pours right through and we never get full, and I also know it’s ultimaterly an inside job anyway and no amount of external validation will ever be enough (though damn it can feel good in the moment, and it sort of makes me mad at god, actually, like, okay god, you built me like this so teach me how to validate myself in a way that feels as good as when a boy does it or the Internet does it, because there is always a cost when a boy does it or when the Internet does it): a love story.

Wer Broder mag, sollte auch unbedingt “Heather Havrilesky – How to be a Person in the World” lesen. Das hatte ich im Sommer fertig.

  • Markus Werner – Am Hang

In Zürich hat mir meine Cousine dieses Buch eines Schweizer Autors empfohlen. Zuerst war ich skeptisch. Das Cover, der Titel, sogar der Name des Autors sprachen mich nicht an. Ich erwartete einen selbst beweihräuchernden Krimi über zwei alte Männer. Bekommen habe ich einen Thriller, der sich gar nicht so liest und sehr viel über unterschiedliche Perspektiven auf ein und denselben Sachverhalt aussagt. So much for: never judge a book by it’s cover.

“Es ist schön, sich an Schönes zu erinnern, nur geht auch das nicht ohne Pein, da man das Schöne nicht erinnern kann, ohne die Wunde zu spüren, die sein Verlust geschlagen hat, und nun möchten Sie also noch wissen, wie und warum ich es aushalte, hier.”

Ein Buch für alle, die gerne unterwegs lesen. Es ist kein langes Buch und die Abschnitte lassen sich ideal in U-Bahn-Fahrten aufteilen. Sehr gerne gelesen.

  • Mareice Kaiser – Alles inklusive

Vor einem Jahr ist das Buch zum Blog “Kaiserinnenreich” erschienen. Ich habe Mareice einmal in Berlin im Bus gesehen, zumindest glaube ich das. Wir waren wohl beide gerade am Rückweg vom Charité. Ich musste während der Lektüre immer wieder an unsere Nicht-Begegnung denken, da ich mir wie viele andere wohl nur schwer vorstellen kann, wie sich das Leben nach der Geburt einer (relativ unerwartet) mehrfach behinderten Tochter anfühlen muss.

Mareice hat die Geschichte ihrer Familie so schonungslos aufgeschrieben, wie ich es mir von mehr Autorinnen und Autoren wünschen würde. Ohne Ego, ohne Angst hat sie all die Fragen beantwortet, die Menschen wie mir – ohne Erfahrungen mit Kindern oder Kindern mit Behinderung – ebenso auf der Zunge liegen wie mit. Geweint habe ich dann doch ungefähr zweihundert Mal, weil Mareice einerseits so wunderschön schreiben und erzählen kann, und andererseits, weil es sich bei ihr um einen interessanten Menschen mit einem sehr weiten Horizont handelt, der vielen Nicht-Behinderten gut tun würde.

Große Empfehlung.

  • Alain Badiou – Lob der Liebe

Der einzige Klassiker, den ich in dieser Zeit zu Ende gelesen habe. (Oder?) In “Lob der Liebe” schreibt Badiou über, naja, die Liebe eben. Klar gibt es einige Stellen, an denen man hat nicken müssen, viel ist allerdings – vier Monate nach der Lektüre – bei mir persönlich nicht hängen geblieben.

Auszug:

“Seine Liebe erklären bedeutet, vom Begegnungsereignis zum Anfang einer Wahrheitskonstruktion überzugehen. Es bedeutet, den Zufall der Begegnung in der Form eines Anfangs zu fixieren. Oft dauert das, was damit beginnt, so lange, und ist so mit Neuheit und Welterfahrung aufgeladen, dass es rückwirkend überhaupt nicht mehr als kontingent und zufällig erscheint, sondern praktisch als eine Notwendigkeit. So wird der Zufall fixiert.”

Ich habe während meines Publizistik-Studiums schon genug zum Thema Liebe geforscht (Luhmann – Liebe als Passion; Eva Illouz – der Konsum der Romantik gefällig?), als dass ich dieses Werk noch unbedingt gebraucht hätte. Mit seinen knapp 100 Seiten allerdings kann eins sich damit schon mal für einen Nachmittag in den Park legen. Vor allem bei Liebeskummer.

  • Otegha Uwagba – Litte Black Book

Kann es sein, dass ich a thing for englischsprachige Popliteratur habe? Anyway. Das Buch habe ich bei Urban Outfitters (LOL!) gekauft und direkt am Heimweg verschlungen. Es enthält Tipps für das Berufsleben junger selbstständiger und unselbstständiger Frauen. Mein liebster Tipp:

“Don’t let a preoccupation with your brand get in the way of the really important stuff either, or spend more time self-promoting than doing the hard work of acutally honoing your craft. The best personal brand is being really good at what you do.”

Word.

  • Rutger Bregman – Utopien für Realisten

Utopien für Realisten ist ein Buch, das für meine eigenen Recherchen sehr wichtig war. In meinem Buch thematisiere ich ebenso wie Bregman die 15-Stunden-Woche, dekonstruiere dieses Ding namens Work-Life-Balance und Karriere und gebe Denkanstöße, den Antrieb des eigenen Arbeitens zu hinterfragen. Wer sich für neue Arbeitsmodelle, das bedingungslose Grundeinkommen und spannend aufbereitete Studien interessiert, sollte sich das Werk zulegen und dabei von einer besseren Zukunft träumen. Ich bin genauso wie Bregman davon überzeugt, dass es möglich ist, die Arbeitsstrukturen der Vergangenheit in den nächsten Jahren hinter uns zu lassen.

  • Nell Zink – Der Mauerläufer 

Von Jonathan Franzen hochgelobt konnte das Buch ja eigentlich schon von Haus aus nicht schlecht sein. Schlecht war es dann auch nicht, richtig begeistert hat mich die Geschichte der (zuerst) in der Schweiz, später in Berlin lebenden US-Amerikanerin, die sich ein bequemes Leben als Ehefrau einrichtet, auch nicht. Das Beste an dem Buch waren sicherlich die absurden Gedanken rund um das Konstrukt Ehe, und die gegenseitig irgendwie geduldeten Seitensprünge. Das Nervigste war das zoologische Schwadronieren über exotische Vogelarten, das ich nach dem dritten Mal einfach überblättert habe. Sprachlich, soweit es die Übersetzung zulässt, ganz okay, aber auch nichts, das ich nochmal lesen oder verschenken würde.

So geht es mir im Übrigen mit vielen Büchern. Ich finde sie weder besonders gut noch schlecht, sie sind mehr so Zeitvertreib, aber direkt freuen tu ich mich auch nicht darauf, sie aufzuschlagen. Vielleicht erklärt das auch, warum ich in diesem sechs, sieben Monaten gar nicht so viel gelesen habe, wie ursprünglich gedacht.

/// Was ich ungefähr bis zu einem Drittel gelesen und dann weggelegt habe. 

  • Marc-Uwe Kling – Qualityland

Aus welchen Gründen auch immer (Gutes Marketing? Zeitgeist?) sprechen gerade alle von DEM Buch des JAHRES. Ich selbst musste die ersten fünfzig Seiten auch ordentlich lachen, schliesslich ist Quality-Land nichts weiter als die Geschichte eines neuen Deutschlands, in dem das Gehorsam eine noch grössere Rolle spielt, als es ohnehin schon der Fall ist. John of Us ist beispielsweise ein Android und Präsidentschaftskandidat. Auch die anderen Namen im Buch sind sehr lustig; da sind definitiv einige Gedankengänge drin, die ich auch gerne gehabt hätte.

Zum Beispiel, dass die Mädchen den Beruf der Mutter als Nachnamen annehmen und die Jungen den Beruf des Vaters (einfach nur großartig, wenn dann jemand Marie Prostituierte oder Karl Vorstand heißt – spiegelt es doch das Klassenverhältnis recht originalgetreu wieder). Nach 150 Seiten ist der Schmäh halt a grennt (auf Hochdeutsch: der Witz auch gelaufen), und die Leserin fragt sich: kommt da noch eine Story oder war’s das jetzt? Ich denke, das Buch hätte als längeres Essay genauso gut funktioniert, schließlich geht es doch um eine dystopische, bis ins letzte Detail kontrollierte Gesellschaft, die uns womöglich bevorsteht – und das ist sehr wohl bereits nach wenigen Seiten für alle mit Hirn ersichtlich.

  • Fjdor Dostojewski – Schuld und Sühne

Da ich trotz meiner osteuropäischen Wurzeln noch nie russische Literatur gelesen habe, dachte ich: Ach! Dostojewski, das klingt doch schon so nach Heimat, das wird sicher gut werden.

Die meisten kennen wohl die Geschichte des Ex-Studenten Rodion Roskolnikow (wenigstens konnte ich mir die Namen merken, haha), der in fortschrittsgläubiger Verblendung (so steht es auf der Rückseite des Buches) einen Doppelmord begeht – und daran zerbricht. Jetzt werden mich alle Literaten hassen, aber: ich finde, die Geschichte hätte auch auf 400 Seiten funktioniert, wenn man die Kleiderwahl Roskolnikows hin und wieder auf zwei, statt auf fünfzehn Seiten behandelt hätte. Ich bin kein Fan von ewigen Landschaftsbeschreibungen (das Parfüm, anyone?) und dergleichen, ich möchte lieber Tempo, ich möchte eine Geschichte, die mich fesselt – und nicht zig Nebencharaktere, die mich mit ihren Einzelheiten mehr langweilen, als anregen. Nimm das, Fjodor. Nein, sorry, du hast das zwar alles gut durchdacht und die Geschichte ist auch super, aber nachdem ich zwei Mal hintereinander nach jeweils 15 Seiten eingeschlafen bin, muss ich leider passen: Next.

Kleiner Auszug, der die Sprache der deutschen Übersetzung charakterisiert:

“Sein ganzer Anzug war eben erst vom Schneider gekommen, und alles war vortrefflich, abgesehen eben davon, dass alles gar zu neu war und gar zu sehr eine bestimmte Absicht bekundete. Auch der elegante, nagelneue Zylinderhut zeugte von dieser Absicht: Pjotr Petrowitsch ging mit ihm allzu respektvoll um und hielt in allzu vorsichtig in den Händen. Auch die entzückenden, fliederfarbenen, echten Jouvinschen Handschuhe bezeugten dasselbe, schon dadurch, dass er sie nicht angezogen hatte, sondern nur zum Staate in der Hand hielt.”

  • Hanya Yanagihara – A Little Life

Es war vielleicht nicht die beste Idee, dieses Meisterwerk nach Paul Austers 4 3 2 1 (1300 Seiten) zu lesen, und doch habe ich es getan – von den Empfehlungen ungefähr aller angestiftet. “A Little Life” handelt grob gesagt von der lebenslangen Freundschaft zwischen vier Männern in New York, die sich am College kennengelernt haben. Es ist ein Buch, das man besser nicht aus der Hand legt, sofern man vorhat, es jemals fertigzulesen. Ich habe etwa 120 Seiten – auf Englisch sie dazugesagt – auf einer Zugstrecke von fünf Stunden gelesen, und habe es danach für zwei Wochen nicht mehr angefasst. Wieder reinzukommen hat dann nicht geklappt. Zu sehr war ich bereits wieder in meinem Alltag drinnen, als dass ich mir komplexe Beziehungen vier mir fremder Männer merken könnte.

Ich habe in den letzten fünf Monaten gemerkt, dass ich für sehr sehr lange Bücher zu 100 % begeistert sein muss, was bisher nur Jonathan Franzen, Paul Auster, J.K. Rowling und Siri Hustvedt gelang. Obwohl “A Little Life” sprachlich einwandfrei ist, hat es einfach nicht Klick gemacht. So wie bei einem Date, das eigentlich ganz super war, aber doch nie zu einem zweiten Treffen führt.

“Would Willem work for year upon year at Ortolan, catching the same trains to auditions, reading again and again and again, one year maybe caterpillaring an inch or two forward, his progress so minute that it hardly counted as progress at all? Would he someday have the courage to give up, and would he be able to recognize that moment, or would he wake on day and look in the mirror and find himself an old man, still trying to call himself an actor because he was too scared to admit that he might not be, might never be?”

Was habt ihr diesen Winter gelesen – und, auch spannend: Was würdet ihr mir als nächste Lektüre empfehlen?

Aktuell auf meiner Liste sind:

  • Sibylle Berg – die Fahrt
  • Amy Liptrot – Nachtlichter
  • Mareike Fallwickl- Dunkelgrünfastschwarz
  • Garth Greenwald – Was zu dir gehört
  • Gerbrand Bakker – Oben ist es still
  • Darcie – Show me literally one healthy Person
  • Franziska Seyboldt – Rattatatam, mein Herz. Vom Leben mit der Angst
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