Sibylle Berg hat ein neues Buch geschrieben. Die Frau vom Buchtitel, also die, die einen Mann fand, heißt Chloe und ist zum ersten Mal seit zwanzig Jahren wieder geil. Sie lernte Benny in einem Massagesalon in Afrika kennen, während sie einen etwas zu festen Zug von der bereitgestellten Opiumpfeife nahm. Mit Benny verbindet sie nichts, abgesehen von ihren feuchten Geschlechtsorganen. Sie verlässt ihren Ehemann Rasmus, um wieder etwas zu spüren, und wenn es nur ein x-beliebiger Schwanz ist. Rasmus versteht die Welt nicht mehr, was ist denn eigentlich Chloes Problem und überhaupt möchte er nicht nochmal von vorne anfangen. Hallo, wie armselig ist das denn, als Fast-Fünfzigjähriger in Bars sitzen und Prostituierte ficken! Und überhaupt ist Rasmus ja nicht gelangweilt von Chloe, im Gegenteil, da gibt es keine andere Frau, neben der er lieber aufwachen oder einschlafen würde. Mit der er lieber schweigend vor dem Fernseher sitzt. „Jeder konnte für sich sein und fühlte sich nie genötigt, ein sogenanntes Gespräch zu führen.“

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Bevor ich angefangen konnte die Beziehung von Rasmus und Chloe zu verurteilen, musste ich mich beim Gedanken an die bevorstehenden Hochzeiten in meinem entfernten Bekanntenkreis übergeben. Was wissen die schon, verliebte oder zumindest seit dreieinhalb Jahren in einer festen Partnerschaft mit getrennten Wohnungen lebende 22- oder 25- oder 28-jährige von einer Beziehung, die fast so lange anhält, wie sie auf der Welt sind. Die Antwort, liebe Kinder (ja, ich darf das sagen): Gar nüchs.

Ich vermute, wir wollen nicht ficken; ich glaube, keiner, der zehn Jahre mit einem Menschen zusammen ist, will das, aber wir fügen uns, bewegen unsere Körper im Takt eines universellen Schlaggebers. WIR MÜSSEN DAS DING JETZT DURCHZIEHEN.

Wir wissen nicht, wie es ist seit zwanzig Jahren neben derselben Person aufzuwachen. Beim Anblick eines stetig abwärts sackenden Hinterns keinen hoch zu bekommen. Wir wissen nicht, über was wir uns in zwanzig Jahren (nicht) unterhalten werden, wenn unsere Interessen sich in diametral andere Richtungen entwickelt haben. Wenn ich mir Sibylle Bergs Gedanken zu einer langjährigen Partnerschaft durchlese, möchte ich mich erschießen.

Die junge, asexuelle, existenzialistische, ständig fröstelnde Person, in die ich mich verliebt hatte, war mit den Jahren durch eine gutgenährte Frau mit unklarem Profil ersetzt worden.

Ist das alles, was kommt? Dann? Ja? Nachdem man sich besoffen in einem Club kennengelernt hat, küssend bei der Garderobe stand und nicht alleine nach Hause gehen wollte? Nach den ersten verrückten Abenden, an denen man sich bei einer geteilten Portion Pommes (wer teilt nach dem ersten Date je wieder Pommes?) um fünf Uhr morgens von seinem bisherigen, bis dato auch problemlos ohne den anderen funktionierenden aber sehr plötzlich mehr als ärmlich erscheinenden Leben erzählt und sein Gegenüber für das schönste Wesen auf der Erde hält?

Ich empfinde ein großes Mitleid. Doch das wird mir nicht langen. Dieses Mitleid ist doch keine Basis für die nächsten dreißig Jahre. Wenn ich Benny morgen wegschicken würde, wäre Rasmus immer der, der das Licht ein wenig trüber macht. Der nie der Richtige ist. Der schuld wäre an diesem leisen Unglück, das entsteht, wenn man mit dem falschen Menschen zusammen ist.

Glaube ich den Gedanken von Chloe (oder soll ich lieber sagen: Sibylle Berg), ist das Leben ab Ende dreißig vorbei, vor allem dann, wenn man verheiratet ist. Da kommt nichts mehr, außer ein spitzer Bauchansatz. Graue Schamhaare, Cellulite-Creme, Unterwäsche in der falschen Größe und/oder Farbe. Ein Liebhaber aus Afrika, den man zu sich nach Hause einlädt, um den Mann zu demütigen. Wenn es gut geht.

Was sind wir für arme Irre. Reden uns Unendlichkeit ein, betrügen einander, als gäbe es dieses Nichts nicht.

Aber natürlich, man bleibt zusammen, was soll man denn auch anderes tun, als alles so zu belassen, wie es einmal war, in diesem hässlichen Vorort. Was soll mit den Möbeln passieren und den sorgfältig inszenierten Hochzeitsfotos? Das kann man doch nicht alles plötzlich wegwerfen, wegen einer Laune, wegen einer Zuckung im Unterleib. Was werden die anderen sagen, himmelnochmal was werden die gemeinsamen Bekannten und Verwandten sagen, wenn man nicht mehr als glücklich verheiratetes Paar zum Abendessen erscheint, um sich zu viert bei einer Partie scrabble zu langweilen und auf dem Nachhauseweg über das jeweils andere Paar zu lästern.

Chloe und Rasmus sind das Paar aus deinem Bekanntenkreis, von dem „man es nie geglaubt“ hätte, die unzertrennlich wirken und das auch in gewisser Weise sind. Sibylle Berg schreibt unfassbar ehrlich über die Gefühle, die schwinden und sich langsam in einen ungenießbaren Cocktail aus Ekel, Belanglosigkeit und dem Bewusstsein über die eigene Endlichkeit verwandeln. Trotz meines recht jungen Alters war ich über die absolut vorhersehbare Handlung nicht verwundert. (Traurig, nicht?) In jeder Zeile springt die Angst der Autorin vor ihrem eigenen Alterungsprozess förmlich auf die Leser und Leserinnen über.

Vielleicht hat sie das Wort ficken fünfzehn mal benutzt, vielleicht waren es auch dreißig mal. Kam mir jedenfalls nicht einmal zu viel vor, ich mag das so, die unverblümte Schilderung einer menschlichen Angelegenheit. Nicht nur einmal musste ich so laut lachen, dass sie meine Sitznachbarn in diversen Transportmitteln umdrehten. „Der Tag, als meine Frau einen Mann fand“ ist unterhaltsam. Nicht mehr, nicht weniger. Die Geschichte an sich war relativ langweilig, vorhersehbar und das Ende fern jeglichen Anspruchs einer allgemein gültigen Lösung. Wenn man schon das ganze Buch einen anderen Mann als den eigenen fickt, will ich über die daraus resultierenden Konsequenzen aufgeklärt werden. Und deren Einfluss auf den weiteren Verlauf der Beziehung. Über Monogamie will ich sprechen und über das Prinzip der freien Liebe. Ich bin, um es kurz zu fassen, nicht befriedigt.

Die Charaktere strotzen nur vor stereotypen Rollenzuschreibungen. Der Mann verdient(e) das Geld, die Frau opfert sich, auch in Anbetracht fehlender Interessen, für ihn auf und hört zu, selbst wenn sie von seinem Scheitern als Regisseur überzeugt ist. Ich habe schon gelesen, dass Frau Berg es anstrengend gefunden hätte, nicht auf diese Stereotype und deren altbekannte Problemmuster zurückgreifen zu können, weil sie dann „so viel erklären“ hätte müssen. Ich frage mich trotzdem, ob man wirklich diesen x-ten Roman über eine gescheiterte Beziehung zweier Endvierziger gelesen haben muss, wenn die Charaktere nicht einmal über die Vielschichtigkeit einer Sachertorte verfügen. Vielleicht war das aber auch alles Absicht so, Sibylle spricht da nicht so gern drüber.

Kauft euch das Buch am besten Second Hand. Hält wahrscheinlich länger.

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